„Die deutschsprachige Presse im Zarenreich: Geschichte, Erforschung und digitale Erschließung“ am 28. Juni 2023 um 19:00 Uhr auf Zoom

Im Rahmen einer Kooperationsveranstaltung des Bayerischen Kulturzentrums der Deutschen aus Russland (BKDR) und dem Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg mit dem Titel „Die deutschsprachige Presse im Zarenreich: Geschichte, Erforschung und digitale Erschließung“ werden im Rahmen eines Onlinevortrages die Geschichte der deutschsprachigen Presse im Russischen Reich und Perspektiven ihrer Digitalisierung besprochen.

Der Vortrag erfolgt über die Plattform „Zoom“. Das geplante Zoom-Meeting beginnt am 28. Juni 2023 um 19:00 Uhr. Die Teilnahme am Treffen erfolgt ohne Anmeldung. Klicken Sie mit Ihrem (mobilen) Endgerät lediglich auf den nachfolgenden Link – im Anschluss an die Veranstaltung bleibt genügend Zeit für eine Diskussionsrunde:

Zoom-Meeting beitreten:

https://zoom.us/j/98960828682?pwd=QVpxSVNHTThxTEtaeFF3b291emcvZz09

Meeting-ID: 989 6082 8682
Kenncode: 979829

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Ein Brief aus Saratow (1922)

Beim Dokument des Monats „Mai“ geht es um den Briefwechsel zwischen zwei wolgadeutschen Intellektuellen, konkret um einen Brief aus dem Jahr 1922, dessen Inhalt wichtige Tendenzen des politischen, gesellschaftlichen und national-kulturellen Lebens der Wolgadeutschen widerspiegelt. Doch zunächst zu den Protagonisten: Der Verfasser des unten vorgestellten Briefes ist Georg Dinges (1891–1932). Sein Profil auf Russisch mit zahlreichen Fotografien finden Sie HIER.

Dinges war Philologe, Heimatforscher, Museologe und Ethnograph, einer der ersten Hochschullehrer aus der Mitte der Siedler-Kolonisten, ab 1923 Professor an der Universität Saratow. Er wurde 1891 im Dorf Blumenfeld, Gouvernement Samara, geboren. Nach der Absolvierung der Grimmer Zentralschule und des Ersten Saratower Knabengymnasiums studierte er von 1912 bis 1917 an der historisch-philologischen Fakultät der Moskauer Universität. Zusätzlich zur Professur leitete er ab 1926 das Zentrale Museum der deutschen autonomen Wolgarepublik in Pokrowsk (seit 1931 Engels) und hatte noch weitere Ämter inne. Außerdem nahm er an der Gründung und ferner am Lehrbetrieb der dortigen Deutschen Pädagogischen Hochschule aktiv teil.

Dinges wissenschaftlicher Schwerpunkt war die Mundartenerforschung. Seine erste Publikation 1923 finden Sie diesbezüglich HIER. Zudem arbeitete er mehrere Jahre an der Erstellung des wolgadeutschen Sprachatlasses.

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  „Die Jesuiten an der Wolga“ und „Stephan Heindel“ von Hieronymus (alias Joseph Kruschinsky) – neuaufgelegt im BKDR Verlag

Pünktlich zur Leipziger Buchmesse 2023 erschien im BKDR Verlag ein Buch über das Leben und Werk von Joseph Kruschinsky (1865-1940), des letzten Generalvikars der Diözese Tiraspol, der in der katholischen Kirche als Märtyrer gilt. Neben einem wissenschaftlich kommentierten Nachdruck seiner viel beachteten historischen Studie „Die Jesuiten an der Wolga“ sowie der geschichtlichen Erzählung „Stephan Heindel“ (aus der ersten Zeit der deutschen Ansiedler an der Wolga), die er Anfang des 20. Jahrhundert im katholischen Wochenblatt „Klemens“ unter dem Pseudonym Hieronymus veröffentlicht hat, findet der Leser in diesem Band darüber hinaus wichtige Protokolle seiner Verhaftung, Verurteilung und Verbannung. Als Verfasser der beiden oben genannten und anderen Schriften gehört Joseph Kruschinsky zu jenen Autoren, deren Werke einen wichtigen Platz sowohl in der Literatur der Sowjet- bzw. Russlanddeutschen als auch in der Geschichte der katholischen Kirche in Russland und der Ukraine einnehmen. Es ist wichtig, dass diese Werke der Nachwelt erhalten bleiben und in gewissen zeitlichen Abständen neu aufgelegt werden.

Herausgegeben von Olga Litzenberger, Victor Herdt und Alexander Spack. Hardcover, 232 S., ISBN 978-3-948589-20-2, Preis: 20,- EUR (D)

Bestellen können Sie das Buch unter der E-Mail: kontakt@bkdr.de oder Tel.: 0911-89219599.

Den aktuellen Bestellkatalog des BKDR Verlags finden Sie unter: www.bkdr.de/link/bestellkatalog  

Internationale wissenschaftliche Fachtagung „Glaube und Kirche als Heimatort in der erzwungenen Heimatlosigkeit und als geschützter Identitätsraum in der Heimat“

Die Fachtagung vom 27. bis 30. April 2023 wurde von der Kulturstiftung der deutschen Vertriebenen in Zusammenarbeit mit dem Institut für Kirchengeschichte von Böhmen-Mähren-Schlesien e. V. in Friedberg/Hessen und dem Institut für Kirchen- und Kulturgeschichte der Deutschen in Ostmittel- und Südosteuropa e. V. in Tübingen durchgeführt. Veranstaltungsort war das Gästehaus des Priesterseminars in Fulda.

Olga Litzenberger beim Vortrag (c) Kulturstiftung der d. Vertriebenen

Unsere wissenschaftliche Mitarbeiterin Prof. Dr. Olga Litzenberger hielt einen Vortrag zum Thema: „Die Rolle der Religion für die Russlanddeutschen nach der Deportation: Zeitzeugeninterviews, soziologische und historische Analysen“. Für die Erstellung des Vortrages wurden 28 biografische und thematische Interviews verwendet. Diese waren teils im Laufe der Jahre angefertigt und archiviert, teils im Rahmen des Projekts „Zeitzeugenbefragung“ des BKDR in Zusammenarbeit mit dem Historischen Forschungsverein der Deutschen aus Russland (HFDR) in den Jahren 2022 und 2023 aufgezeichnet worden.

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Statistik des Monats „April“

Dieses Mal wird mit einigen Statistiken zu „Bildungsabschlüssen und Teilhabe am Arbeitsmarkt“ ein neuer Themenkomplex eröffnet. Auf Basis der Daten des Mikrozensus werden damit einige der zentralen Bereiche der Lebenswelt von (Spät-)Aussiedlern beschrieben. Die einzelnen Verteilungen in den verschiedenen Bevölkerungsgruppen der Untersuchung werden rein deskriptiv dargestellt.

Der Mikrozensus erfasst selbst zugewanderte (Spät-)Aussiedler, sodass hierbei nur sehr wenige Personen unter 25 Jahren aus dieser Gruppe enthalten sind. Deshalb werden zu den Analysen zum Bildungshintergrund nur Personen im Alter von 25-65 Jahren bzgl. ihrer Bildungsabschlüsse betrachtet. Zudem können gleichermaßen keine Daten darüber angegeben werden, ob dieser Abschluss in Deutschland oder dem Herkunftsland erworben wurde.

Wie die nachfolgende Abbildung zeigt, ist der Anteil an (Spät-)Aussiedlern ohne Schulabschluss – analog zur Bevölkerung ohne Migrationshintergrund – mit 2 Prozent relativ gering. Dies geht mit einem starken Kontrast einher zur Bevölkerung mit eigenen Migrationserfahrungen, für die der Wert mit 16 Prozent deutlich höher liegt. Abweichungen zur Bevölkerung ohne Migrationshintergrund bzw. mit Migrationserfahrung existieren bzgl. ihrer Art des vorhandenen Abschlusses. Hier ist der Anteil der (Fach-)Hochschulreife geringer.

Auszug aus der SVR-Studie.
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Hungerjahre im Zarenreich

Wir haben uns in diesem Thread gleichermaßen sowohl mit der Hungerkatastrophe der Jahre 1921-22 [HIER] als auch mit der Hungersnot 1932-33 in der Ukraine auseinandergesetzt [HIER].

Dabei ist es so, dass bereits vor 1917 im Zarenreich bspw. die Wolgaregion beinahe regelmäßig von starken Missernten und Hungersnöten heimgesucht wurde. Besonders davon betroffen war man in den Jahren 1872-1874, 1891-1893, 1905-1907, 1911/1912. Ein gravierender Unterschied zu den ähnlichen Ereignissen unter der bolschewistischen Herrschaft bestand darin, dass im Russischen Reich – bei allem Elend – mit einer Ausnahme keine Hungersopfer gar in Millionenhöhe gab. Bei den schlimmsten Misserntejahren 1891 und 1892 mit mehr als 30 Mio. Hungernden gab es Schätzungen zufolge etwa 500.000 Todesopfer, ca. 300.000 führen auf die ausgebrochene Cholera-Epidemie zurück.

Die insgesamt erfolgreiche Bekämpfung und Überwindung der Hungersnot in all den Jahren war darauf zurückzuführen, dass der von Liberalen bis zu Sozialisten so verhasste autokratische Staat keine Plünderungen der Bauern vornahm, sondern im Umkehrschluss eine starke Unterstützung bei der Not mit Speisungen, Kreditvergaben und Saatkorn leistete. Zum Überleben in der Notlage trugen auch die gesetzlich vorgeschriebenen gemeinnützlichen Getreidemagazine bei, die jede Bauerngemeinde während der guten Ernte aufzufüllen verpflichtet war. Auch kirchliche und private Wohltätigkeitsorganisationen engagierten sich bei der Unterstützung der leidenden Bevölkerung – so auch in den Hungerjahren 1906/07.

Eine von diesen Organisationen war das Komitee des evangelischen Feldlazaretts aus St. Petersburg, das in den betroffenen wolgadeutschen Gemeinden Mittel für Speisungen bzw. für Viehfutter und Speisekartoffeln bereitstellte. Insgesamt nicht weniger als 20.000 Siedler aus 21 Kolonien erhielten tatkräftige Hilfe. Nachstehend die Ausgabe der „Revalschen Zeitung“ vom 6. März 1907:

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Zum Umgang mit der Hinterlassenschaft des Stalinismus in Kasachstan

Heute, am 14. April 2023, jährt sich zum 30. Mal die Verabschiedung des Gesetzes der Republik Kasachstan „Über die Rehabilitierung von Opfern politischer Massenrepressalien“. Den entsprechenden Text in russischer Sprache finden Sie HIER.

Es war ein Teil der Wiedergutmachungspolitik gegenüber den unschuldigen Opfern der staatlichen Willkür. Damit versprach der junge Staat eine Wiedergutmachung nicht nur für die direkt betroffenen Personen, sondern auch für ihre Kinder und Enkelkinder – kurzum: für die Nachwelt. Weniger in finanzieller, sondern vielmehr in moralischer und psychologischer Hinsicht. Hunderttausende Personen erhielten seither die Bestätigung, dass sie zu Stalinzeit zu Unrecht verfolgt wurden.

Mit der Zeit entstand der gesellschaftliche Bedarf, die Unzulänglichkeiten des Gesetzes zu beheben und einen freieren Zugang zu den entsprechenden Akten zu bekommen. Aus diesem Grund initiierte der kasachische Präsident, Kassym-Schomart Tokajew, im Erlass vom 24. November 2020 die Einrichtung einer staatlichen Kommission für die vollständige Rehabilitierung der Opfer politischer Repressionen. Den Text in russischer Sprache finden Sie HIER.

Ihre Hauptaufgabe besteht darin, allen Gruppen von Bürgern, die unter den Repressionen gelitten hatten, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Vor allem denjenigen, die von dem bestehenden Gesetz nicht berücksichtigt wurden, so bspw. den Hungeropfern, den enteigneten Bauern und Nomaden, den Kämpfern für die nationale Sache nach 1955 u.a. Eine der wichtigsten Aufgaben der Kommission besteht darin, die auf vielen Repressionsakten noch lastende Geheimhaltung zu überprüfen und einen möglichst freien Zugang zu den Materialien zu ermöglichen.

Aus dem Anlass des 30-jährigen Bestehens des Rehabilitierungsgesetzes und der Tätigkeit der Staatskommission veranstaltete das Kasachisch-Deutsche Zentrum in der Hauptstadt Astana am 31. März einen sog. „Runden Tisch“. Hier versammelten sich Mitglieder des Parlaments und der gesellschaftlichen Organisation „Assemblee des Volkes Kasachstans“, die Vertreter der deutschen Minderheit und Wissenschaftler aus mehreren Ländern, darunter Dr. Viktor Krieger vom BKDR.

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Deutsches Generalkonsulat in Charkow zur Lage in der Ukrainischen Unionsrepublik …

Dokument des Monats: Aus dem Jahresbericht des Deutschen Generalkonsulats in Charkow, 1935

S. 1 des Berichts (weitere Auszüge s. unten)

Mit dem „Dokument des Monats“ März präsentieren wir Auszüge aus dem politischen Jahresbericht des Deutschen Generalkonsulats in Charkow zur Lage in der Ukrainischen Unionsrepublik, erstellt am 6. Dezember 1935. Charkow war bis Juni 1934 die Hauptstadt der Ukraine, und das Generalkonsulat verfügte entsprechend über eine erfahrene und fachkundige Personalbesetzung. Weitere deutsche Konsulate in dieser Republik gab es in Kiew und Odessa.

Ungeachtet der fast dreijährigen NS-Herrschaft in Deutschland zeichnet sich der Bericht durch eine ideologische Zurückhaltung und abgewogene Sachlichkeit aus, ausgenommen der Stellen, die sich mit der deutschen Minderheit in der Ukraine befassen. Das Auswärtige Amt blieb von der NS-Partei in der ersten Zeit offenbar weitgehend verschont, weil das NS-Regime eine Zeitlang auf den Rat der erfahrenen Diplomaten angewiesen war.

Viele Betrachtungen und Schlussfolgerungen in diesem Bericht erlauben einen fundierten Einblick in die inneren Verhältnisse in der Ukrainischen Sowjetrepublik. Der zentralen sowjetischen Staats- und Parteiführung sei es – unter anderem mithilfe der organisierten Hungerkatastrophe der Jahre 1932-1933 – weitgehend gelungen, zwei wichtige Gefahren für ihre Machtstellung zu unterbinden; sie brachen den Widerstand der Bauern und unterdrückten die ukrainische nationale Bewegung. Die Moskauer Machthaber konnten sich dabei auf eine breite Schicht der gefügigen Anhänger der neuen sozialistischen Ordnung sowohl auf dem Lande als auch (und vor allem) in der Stadt stützen.

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Erste russlanddeutsche Akademiker im Zarenreich (Folgen 22 und 23)

Von den in diesen beiden Folgen porträtierten Akademikern, die in Dorpat studiert haben, möchten wir an dieser Stelle Pfarrer Emil Schimke (1891–1945) etwas ausführlicher vorstellen. Er war einer der wenigen Geistlichen, denen es Anfang der 1930er-Jahre gelang, aus der Sowjetunion nach Deutschland auszureisen. Er wurde im bessarabiendeutschen Dorf „Basyrjamka“ geboren, studierte Theologie in Dorpat und diente daraufhin als Pastor in deutschen Siedlungen bzw. Gemeinden auf der Krim sowie in der Umgebung von Odessa. Eine Fotografie und der handschriftliche Vermerk auf deren Rückseite erlauben einen seltenen Einblick in das Alltagsleben des Geistlichen in der Zeit zwischen den zwei Weltkriegen, abseits seines kirchlichen Dienstes bzw. der öffentlichen Auftritte im Talar. Hier sehen wir die Familie des Pfarrers: seine Frau Lydia, die Kinder, darunter ein Stiefkind (scherzhaft genannt: Stiftkegel), und die Magd. In dieser Zeit diente Emil Schimke in der Pfarrgemeinde Hoffnungstal im Bezirk Odessa. 

Die nachfolgend zitierte Eintragung auf der Rückseite weist leider Lücken auf; fehlende Wort- und Satzteile wurden sinngemäß in eckigen Klammern ergänzt; nicht eindeutig lesbare Stellen sind mit Fragezeichen versehen:

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Schicksale hinter einer alten Fotografie

Dokument des Monats

Uns liegt ein seltenes Bild vor, das schätzungsweise Ende 1911, Anfang 1912 in Dorpat gemacht wurde (früher auch als Jurjew bzw. heute als Tartu in Estland bekannt, bis 1917 gehörte die Stadt zum Gouvernement Livland in Russland). Das Bild zeigt eine Gruppe von Studierenden der Universität Dorpat, die zugleich Mitglieder der Korporation Teutonia waren.

Mitglieder der Studentenverbindung „Teutonia“ (1911 oder 1912). Klicken Sie auf das Bild, um es zu vergrößern.

Diese Studentenverbindung ist für uns insofern von Bedeutung, weil sie im Zarenreich die einzige „klassische Korporation“ von Studenten war, welche dem einstigen „Kolonistenstand“ entstammten (ab 1871 sogenannte Siedler-Eigentümer, Teil der russischen Bauernschaft). Alma mater Dorpatensis, die Kaiserliche Universität Dorpat, spielte damals eine zentrale Rolle beim Entstehen der ersten akademischen Bildungsschicht unter deutschen Siedlern in Russland. Teutonia wurde am 17. Februar 1908 zunächst als sog. „Südländerverein“ gegründet und erst einige Monate später, am 4. Dezember 1908, in eine Korporation (Corps) umgewandelt. Die Aufnahme in den bereits bestehenden Chargierten-Convent, Verband der anerkannten studentischen Verbindungen in Dorpat, fand am 23. November 1912 statt.

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„Wolgadeutsche Mutter“ – Festschrift für Autorin Ida Bender zum 100. Geburtstag erschienen

Ida Bender (18.06.1922 – 12.11.2012) wurde in der deutschen Siedlung Rothammel an der Wolga geboren. Nach der Mittelschule in Engels studierte sie ein Jahr lang an der 1. Pädagogischen Hochschule für Fremdsprachen in Leningrad. Nach Kriegsbeginn 1941 folgte die Deportation nach Sibirien und die Arbeitsarmee im hohen Norden, ab 1948 lebte sie wie alle Sowjetdeutschen unter der Kommandanturaufsicht in der Verbannung. Ab 1957 war sie u. a. ehrenamtlich als Korrespondentin der Wochenschrift „Neues Leben“ (Moskau) tätig, ab 1965 hauptberuflich als Übersetzerin in der Redaktion der deutschsprachigen Zeitung „Freundschaft“ in Zelinograd (heute Astana, Hauptstadt von Kasachstan). 1973 kehrte sie an die Wolga zurück, 1977 folgte die Pensionierung. 1991 übersiedelte sie mit ihrer Familie nach Hamburg. Hauptwerke von Ida Bender: „The Dark Abyss of Exile: A Story of Survival“, USA, 2000 (Erinnerungen an die Zeit der Deportation und der Arbeitsarmee). 2010 erschien dieses Buch als erweiterte Ausgabe auf Deutsch unter dem Titel „Schön ist die Jugend … bei frohen Zeiten“, Geest-Verlag, und 2013 auf Russisch unter dem Titel: „Сага о немцах моих российских“.

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Deutsche Minderheitenliteratur auf der Anklagebank

Dokument des Monats

Die geistige und materielle Kultur der Deutschen in der UdSSR wurde nach 1941 fast komplett ausgelöscht. Lediglich Überreste dieses Kulturerbes weisen heute noch auf das einst vitale wirtschaftliche und kulturelle Leben dieser Minderheit in der Russischen Föderation und der Ukraine hin. Der fast ein Jahr lang andauernde Krieg in der Ukraine wird wohl unwiederbringlich die noch verbliebenen Spuren vernichten, weil die Frontlinie teilweise unmittelbar durch die einstigen Siedlungsgebiete der deutschen Minderheit verläuft.

David Schellenberg, Sowjetdeutscher Schriftsteller (1903-1954)

Allerdings begann die kulturelle Zerstörung wesentlich früher. So findet man heute Relikte des literarischen Erbes von ukrainisch-deutschen Literaten fast ausschließlich in den alten Strafakten. Bislang fehlen jegliche Hinweise auf die Existenz von Nachlässen auch nur eines einzigen sowjetdeutschen Literaten aus der Zwischenkriegszeit. In einer Reihe von politischen Strafprozessen der Jahre 1929–1936 wurden beinahe alle Schriftsteller, Zeitungs- und Zeitschriftenredakteure, Journalisten, Hochschullehrer, Übersetzer etc., d. h. die gesamte bis dahin kreativ wirkende „Intelligenz“ der deutschen Minderheit der Ukraine, verhaftet und abgeurteilt. Die wenigen übriggebliebenen auf Deutsch Schreibenden fielen dem großen Terror der Jahre 1937/38 zum Opfer.

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Akademische Viertelstunde mit Dr. Nils Friedrichs

Dr. Nils Friedrichs (wissenschaftlicher Mitarbeiter im wissenschaftlichen Stab des Sachverständigenrates für Integration und Migration) hat gemeinsam mit Johannes Graf die SVR-Studie 2022-1 mit dem Thema „Integration gelungen? Lebenswelten und gesellschaftliche Teilhabe von (Spät-)Aussiedlerinnen und (Spät-)Aussiedlern“ veröffentlicht.

Dr. Nils Friedrichs (3. v. l.) und Johannes Graf (2. v. l.) zu Gast beim BKDR.

Das Bayerische Kulturzentrum der Deutschen aus Russland (BKDR) hat diesbezüglich zwei Videobeiträge im Rahmen der Bildungsreihe „Akademische Viertelstunde“ angefertigt. Im ersten Videobeitrag spricht Johannes Graf über die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse der Aussiedlerinnen und Aussiedler in Deutschland.

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Erste russlanddeutsche Akademiker im Zarenreich (Folgen 20 und 21)

Richard Reusch und seine Frau, Tansania, 1940  © USC, Libraries

Im Rahmen unserer wissenschaftlichen Forschungsreihe „Erste russlanddeutsche Akademiker“ möchten wir Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, weitere Ergebnisse präsentieren. Besondere Aufmerksamkeit verdient unserer Meinung nach der einstige Missionar Richard Reusch (1891-1975). Er war seinerzeit zwar weltbekannt, doch hierzulande und vor allem von den Deutschen aus UdSSR-Nachfolgestaaten wurde er bisher kaum wahrgenommen.

Reusch wurde in einer wolgadeutschen Lehrerfamilie in Orlowskoje (Orlowka) geboren. Seine Familie zog 1897 nach Pjatigorsk um und 1904 weiter nach Wladikawkas (Nordkaukasus), wo sein Vater Gustav Reusch in von der Kirche getragenen Schulen unterrichtete. Richard absolvierte mit Auszeichnung (bzw. mit Goldmedaille) das örtliche Gymnasium und studierte genauso wie sein Bruder Emil Reusch Theologie in Dorpat.

Richard Reusch (rechts) durchquert mit der Familie Henrich Pfitzinger den Suezkanal auf dem Weg ins Tanganjika-Gebiet, Februar 1923. © Daniel H. Johnson (2008)

Weltberühmt wurde Richard Reusch durch seine Missionstätigkeit in Ostafrika, wo er mehr als 30 Jahre lang wirkte, sowie durch seine wiederholten Besteigungen des höchsten Bergs Afrikas, Kibo (Kilimandscharo–Massiv). Der innere Krater auf dem Gipfelplateau trägt seit 1954 seinen Namen (Reusch–Krater).

Reusch war Verfasser einiger Lehr- und Wörterbücher sowie Übersetzer der Hl. Schrift in solche afrikanischen Sprachen wie Kisuaheli (Suaheli) und Massai. In deutscher und englischer Sprache erschienen von ihm Darstellungen u. a. über den Islam, etwa „Der Islam in Ost-Afrika: mit besonderer Berücksichtigung der muhammedanischen Geheim-Orden“, 1931 [eine Rezension siehe hier] oder „History of East Africa“, 1954 und 1961, die bis heute ihre wissenschaftliche Relevanz nicht eingebüßt haben.

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Ein Wahlkampf-Flugblatt aus dem Jahr 1937

Rubrik: Dokument des Monats

Anhand dieses interessanten Dokuments, eines Wahlflugblatts aus dem Jahr 1937, möchten wir auf die ersten Wahlen in den Obersten Sowjet der UdSSR näher eingehen. Nach der sowjetischen Verfassung von 1936 stellte diese Institution das höchste politische Organ der vermeintlichen Volksherrschaft dar. Die Wahl fand nach formalen demokratischen Prinzipen statt: auf der Grundlage eines allgemeinen, direkten und gleichberechtigten Wahlrechts in geheimer Abstimmung. In dem Flugblatt wird der Deputiertenkandidat Friedrich Scherer (1896 – ?) vorgestellt, der langjährige Vorsitzende eines der erfolgreichsten landwirtschaftlichen Betriebe in der wolgadeutschen autonomen Republik, der Woroschilow-Kolchose im Dorf Paulskoje, Kanton Marxstadt:

Wahlflugblatt, 1937 (c) GARF, Moskau

Mit einem Bevölkerungsanteil von 60,4% durften die Wolgadeutschen 11 Abgeordnetenmandate, d.h. die größtmögliche Anzahl der nach der Sowjetverfassung einer autonomen Republik zustehenden Sitze im Nationalitätensowjet (bzw. -rat), und zwei weitere Abgeordnetenmandate im Unionssowjet des Obersten Sowjets der UdSSR für sich beanspruchen. Da die Deutschen der sogenannten „Titularnationalität“ der autonomen Republik an der Wolga angehörten, wurden bei der ersten Wahl in den Obersten Sowjet insgesamt neun Abgeordnete aus ihren Reihen gewählt. Unter anderem folgende Personen:

  • Adolf Dehning (1907–1946), damals bekannter Stoß- und Stachanowarbeiter, Mähdrescherfahrer aus Mariental, von 1938 bis 1941 Vorsitzender des Vollzugskomitees desselben Kantons;
  • Anna Grünemeier (1907 – ?), Mathematiklehrerin und Leiterin einer Musterschule im Kanton Eckheim, u. a. „Dorfpropagandistin“. Sie war eine Absolventin der Deutschen Pädagogischen Hochschule von 1935 und galt in der Gegend u. a. als Beispiel für eine „freie deutsche Frau“.
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Neue Publikation im Gedenkbuch des Zwangsarbeitslager IWDEL

Das BKDR setzt die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Stalinismus kontinuierlich fort. In Kooperation mit russischen Historikern und Archivaren – die leider wegen des Angriffs auf die Ukraine zeitweilig unterbrochen ist – gelang die Veröffentlichung eines weiteren Gedenkbuches der russlanddeutschen Zwangsarbeiter. Dieses Mal das des Holzfällerlagers IWDEL (IWDELLAG) im Ural. Es ist bereits das siebte Buch dieser Reihe, die unter der Leitung von Prof. Dr. Viktor Kirillow (Nishni Tagil/Jekaterinburg) herausgegeben wird.

Das Buch zu IWDELLAG besteht aus zwei Bänden. Band 1 umfasst einen analytischen Teil, Erinnerungen der Zeitzeugen und Archivdokumente, die zu einem Großteil von unserem wissenschaftlichen Mitarbeiter Dr. Viktor Krieger ausgewählt, kopiert und digitalisiert wurden. Im Anhang dazu befindet sich das Bildmaterial unter anderem von Passfotos von mehr als 400 Personen. Der 2. Band enthält Informationen zu 17 827 Zwangsarbeitern, die in ihrer überwiegenden Mehrheit – zu über 95% – deutscher Nationalität waren. Davon sind offiziell allein im Lager 2 890 Personen bzw. 16,2% verstorben. Weitere 3 785 Personen wurden als „Schwächlinge“ demobilisiert, 994 Personen verhaftet und verurteilt. Wie viele von ihnen dabei entkräftet auf der Heimreise, im Straflager oder während der Abbüßung der Freiheitsstrafe verstarben, ist unbekannt.

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Diplom der Halbstädter Kommerzschule aus dem Jahr 1916

Das vorliegende Attest in dieser Form ist eine selten gut erhaltene Urkunde einer höheren Lehranstalt (Mittelschule) der Kommerzschule, die direkt von den deutschen Siedler-Kolonisten in ihrer Ortschaft errichtet und betrieben wurde. Doch was genau ist eine Kommerzschule? Nachstehend ein Beitrag über eine Kommerzschule in deutscher Sprache:

Halbstadt war eines der geistigen Zentren der deutsch-mennonitischen Bevölkerung im Russischen Reich. Mehrere höhere Bildungsanstalten, die dort und in anderen mennonitischen Ortschaften entstanden sind, legten ein beredtes Zeugnis über die wachsende Bedeutung der Bildung unter den deutschen Ansiedlern insgesamt und insbesondere unter der mennonitischen Landbevölkerung zu Beginn des 20. Jahrhunderts dar.

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Bakteriologische Diversion aus dem Jahr 1938

Zu den „klassischen“ Beschuldigungen in militärischen und ideologischen Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Staaten oder Staatenbünden gehört seit jeher die Bezichtigung der gegnerischen Seite, dass sie plant bzw. bereits Vorbereitungen getroffen hat, Massenvernichtungswaffen einzusetzen. Das jüngste Beispiel sind die Vorwürfe der Russländischen Föderation an die Ukraine, biologische Geheimlaboratorien zu unterhalten und an biologischen (bakteriologischen) Waffen zu arbeiten.

In solchen Beschuldigungen, die sich allerdings nicht selten an die Adresse der eigenen Bürger richten, hat Russland bzw. der Vorgängerstaat, die UdSSR, reichlich Erfahrung. Bereits vor 85 Jahren, während des „Großen Terrors“ der Jahre 1937-38, lautete einer der Anklagepunkte, insbesondere gegen die Ärzte, wie folgt: „Vorbereitung einer biologischen Diversion“. Dies musste unter anderem der Mediziner Wilhelm Bauer (1885-1938) am eigenen Leib erfahren, der in Kaltschinowka, im einstigen deutschen Siedlungsgebiet Grunau, Kreis Mariupol im Schwarzmeergebiet, geboren wurde. Er hat die angesehene Universität Dorpat absolviert und arbeitete in der Ukrainischen Unionsrepublik, zuletzt als Oberarzt im Krankenhaus Molotschansk, dem damaligen Zentrum des deutschen Nationalrayons Molotschansk (Informationen auf Russisch zum Nationalrayon finden Sie HIER). Zusammen mit drei weiteren Leidensgenossen, Vertretern der örtlichen deutschen Intelligenz, wurde er am 9. Juni 1938 verhaftet und am 28. September 1938 durch einen Dreierausschuss (Troika) des Innenministeriums NKWD zum Tod durch Erschießen verurteilt.

Neben solchen absurden Anklagepunkten wie Mitgliedschaft in einer „konterrevolutionären spionage- und Sabotageorganisation“ oder Aufstellung von „Sturmgruppen zur Durchführung von Terroraktivitäten“ lautete einer der wichtigsten Anklagepunkte: „Vorbereitung einer Diversionsgruppe, um bakteriologische Sabotageaktionen vorzunehmen“. Siehe nachstehend das Urteil des Sondergremiums des NKWD:

Das NKWD-Urteil gegen Wilhelm Bauer vom 28. September 1938.

Die deutsche Übersetzung des NKWD-Urteils gegen Wilhelm Bauer vom 28. September 1938 können Sie unter dem nachstehenden Downloadbutton herunterladen:

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Produktives Treffen im Bayerischen Kulturzentrum der Deutschen aus Russland (BKDR)

Heute fand im BKDR ein Arbeitstreffen mit Dr. Nils Friedrichs, wissenschaftlicher Mitarbeiter und stellvertretender Leiter des Bereichs Forschung des Sachverständigenrates für Integration und Migration (SVR) sowie Johannes Graf, wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsfeld III „Migration und Integration: Dauerbeobachtung und Berichtsreihen“ im Forschungszentrum des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF), statt.

Auf dem Bild sehen Sie v. l. n. r.: Stanimir Bugar, Johannes Graf, Nils Friedrichs und Viktor Krieger.

Neben der Anfertigung zweier Videobeiträge im Rahmen unserer Bildungsreihe „Akademische Viertelstunde“ zur SVR-Studie „Integration gelungen? Lebenswelten und gesellschaftliche Teilhabe von (Spät-)Aussiedlerinnen und (Spät-)Aussiedlern“ stand zusätzlich ein wissenschaftlicher Austausch bzw. Expertengespräch mit Dr. Viktor Krieger auf dem Tagesplan, um sich ein wissenschaftlich fundiertes Bild vom Leben sowie der Integration der Deutschen aus Russland zu verschaffen und dieses im Nachgang einer breiteren Öffentlichkeit präsentieren zu können.

Einer von Hunderttausenden, die nicht gebrochen wurden: Das bemerkenswerte Leben von Leopold Kinzel (1922-2020)

Leopold Kinzel, der Verfasser der unten verlinkten Erinnerungen, ist am 19. August 1922 im Dorf Neubauer, Kanton Krasny Kut in der Wolgadeutschen Republik, zur Welt gekommen. Seine Familie lebte für eine längere Zeit im Kantonzentrum Krasny Kut. Da sein Vater ein staatlicher Angestellter war, musste er einige Male den Arbeitsplatz wechseln, sodass Leopold sowohl deutsch- als auch russischsprachige Schulen besuchte und dementsprechend beide Sprachen perfekt beherrschte. Nach der Absolvierung der Mittelschule im Juni 1940 wurde L. Kinzel in die Armee eingezogen und in eine Offizierschule nach Uljanowsk geschickt. Allerdings wurden er und einige deutsche Kursanten Anfang September 1941 von dieser militärischen Lehranstalt relegiert. Er folgte seinen Eltern in die Verbannung in die Region Altai. Dort arbeitete er einige Monate als Nachtwärter im Pferdestall.

Auf dem Foto sehen Sie Leopold Kinzel (links) mit seiner Mandoline und Alfred Renz (rechts) mit seiner Mundharmonika (2012). Foto: Mathias Wiedemann.

Im Januar 1942 wurde L. Kinzel zur Zwangsarbeit in das Holzfällerlager Iwdel im Norden des Gebiets Swerdlowsk im Ural mobilisiert. Dieses Lager beherbergte 17.827 Zwangsarbeiter – mehr als 95 Prozent davon waren Deutsche. Offiziell hieß dieser Einsatz beschönigend „Arbeitsmobilisierung“, umgangssprachlich „Trudarmija“ (Arbeitsarmee). Seinen Vater und Bruder ereilte dasselbe Schicksal. Im Lagerpunkt „Taliza“ musste Leopold mit den deutschen Leidensgenossen unter schwersten Bedingungen mit miserabler Bekleidung und schlechter Ernährung sowie Frosttemperaturen von bis zu minus 45 Grad im tiefen Schnee Holz fällen. Wegen Unterernährung und Erschöpfung starben viele seiner Kameraden. Nach offiziellen Angaben gab es 2.890 Todesfälle zu verzeichnen.

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