Nora Pfeffer – eine Würdigung zum 100. Geburtstag

Zum 100. Geburtstag von Nora Pfeffer gaben das Bayerische Kulturzentrum der Deutschen aus Russland (Nürnberg) und der Literaturkreis der Deutschen aus Russland e.V. eine Festschrift heraus.

Die Dichterin Nora Pfeffer gehört mit ihrer poetischen und schriftstellerischen Leistung zu den wichtigsten russlanddeutschen Autoren der Nachkriegszeit. Jahrzehntelang hat sie die Entwicklung der deutschen Literatur in der ehemaligen Sowjetunion mitgeprägt – als Lyrikerin, Übersetzerin, Nachdichterin, Essayistin und Literaturkritikerin. Pfeffers Werke sind in ca. 15 Einzelbänden erschienen, darunter mehrere Versbücher für Kinder, Lyriksammlungen und Bücher mit Nachdichtungen. Sie wurde am 31. Dezember 1919 in Tbilissi/Georgien in einer Lehrerfamilie geboren. Noras Kindheit endete 1935 abrupt mit der Verhaftung ihrer Eltern. Fünf Kinder, eine taubstumme Tante und die Großeltern blieben vorerst allein, ein Jahr später wurde die Mutter aus dem Gefängnis entlassen. Der Vater, ohne Gerichtsverfahren konterrevolutionärer Tätigkeit bezichtigt, wurde erst nach elf Jahren entlassen und 1956 rehabilitiert.

Nach Abschluss der deutschen Schule und des Musiktechnikums am Konservatorium Tbilissi begann Nora Pfeffer ein Studium der Germanistik und Anglistik, das sie extern am I. Moskauer Staatlichen Pädagogischen Fremdspracheninstitut fortsetzte. Gleichzeitig unterrichtete sie die deutsche Sprache am Medizinischen Institut Tbilissi. Weil sie sich weigerte, von ihrem Vater loszusagen, wurde sie exmatrikuliert und auch aus der Musikfachschule ausgeschlossen. 1940 verlobte sie sich mit Juri Karalaschwili, dem Enkel des georgischen Katholikos. Im August 1941 wurde ihr Sohn Rewas geboren (Er verstarb 1989 mit nur 48 Jahren).

Als am 19. Oktober 1941 die georgischen Deutschen deportiert wurden, durfte Nora als Ehefrau eines Georgiers in Tbilissi bleiben. Ihre Mutter und Geschwister verschlug es nach Kasachstan. Auch Noras Mann lag inzwischen verwundet in einem Lazarett im sibirischen Barnaul.

Im November 1943 wurde auch Nora Pfeffer verhaftet (zusammen mit noch einigen georgischen Intellektuellen) und von ihrem kleinen Sohn getrennt. „Ich kam in ein Untersuchungsgefängnis. Ein schmutziger schwarzer Tisch in einer Einzelzelle. Ein Tonkrug darauf. Ein Becher. Ein Stuhl. Auf dem schmutzigen Fußboden ein Kübel und ein Besen. Man darf weder lesen noch schreiben. Ich wollte nicht durchdrehen, wollte meinen Sohn und Mann wieder in Freiheit umarmen können. Ich brauchte eine Beschäftigung. Sie brach eine Rute vom Besen ab, setzte sich an den Tisch und begann, die dicke Lehmschicht Millimeter um Millimeter abzutragen. Tag für Tag, Woche für Woche. Es stellte sich heraus, dass der Tisch leuchtend gelb war…“, erzählte sie in einem Interview mit Agnes Gossen.

Es folgen viele Jahre Straflager in Dudinka (NorilLag). „Tagelanges Reisen in Stolypin-Waggons, mit salzigen Heringen als einziges Nahrungsmittel, Wasser zum Trinken wurde nicht verabreicht. Ich kam nach Dudinka in ein Lager, wo man bei 50 Grad minus in gewöhnlichen Zelten untergebracht wurde. Chronischer Skorbut mit blutendem Zahnfleisch. Holzfällen im Wald, wo man immer wieder auf Leichen von Häftlingen stieß, die auf der Flucht erschossen wurden oder völlig erschöpft zusammengebrochen waren“, ist im Interview nachzulesen. Nach zehn Jahren Straflager kam sie in die Verbannung nach Nordkasachstan.

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Reiseerlaubnis für eine/n Sondersiedler/in

(Dokument des Monats April)

Das Bayerische Kulturzentrum der Deutschen aus Russland bewahrt eine interessante Dokumentensammlung der Familie Lutz-Gerstenberger auf, die uns Arwed Lutz aus der Stadt Almaty in Kasachstan überreicht hat. Neben seltenen zeitgenössischen Fotos und Dokumenten, die demnächst im Dokumentationsarchiv des BKDR erfasst werden, befindet sich in der Sammlung ein Originalschein der Abteilung für Sondersiedlungen des Ministeriums für Innere Angelegenheiten MWD. Zehn Jahre nach dem Krieg lebten die Einwohner der Nachfolgestaaten des besiegten Dritten Reiches, der BRD und der DDR, längst in der bürgerlichen Normalität. Die DDR-Deutschen durften sogar zur Aufnahme eines Studiums und bereits zu Touristenzwecken in die UdSSR reisten. Dagegen befanden sich die unbeteiligten „Sowjetbürger deutscher Nationalität“ noch immer im Ausnahmezustand und standen als Personen minderen Rechts unter Kontrolle der Sonderkommandanturen des Innenministeriums. Ihnen wurde bis 1955 verboten, sich im eigenen Land zu bewegen. Sie waren an Orte der Pflichtansiedlung fest gebunden und durften diese nicht ohne behördliche Genehmigung verlassen (siehe unten die Originalgenehmigung auf Russisch und die deutsche Übersetzung).

(c) BKDR

Übersetzung (gelb markiert sind die handschriftlichen Eintragungen im Vordruck)

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Ausschreibung für Sammelband „Russlanddeutsche Maler der Gegenwart“

Das Bayerische Kulturzentrum der Deutschen aus Russland (BKDR) schreibt im Bereich der bildenden Künste das Projekt „Russlanddeutsche Maler der Gegenwart“ aus. Die Arbeiten von Gegenwartskünstlern mit russlanddeutschem Bezug sollen in einem Sammelband zusammengetragen werden, um das Schaffen der vorgestellten Künstler der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Einsendeschluss: 30.06.2020

Für die Herausgabe einer Publikation suchen wir Bilder von russlanddeutschen Künstlern der Gegenwart, deren Werke gerne auch gesellschaftsrelevante Aspekte behandeln dürfen. Ein bestimmtes Thema geben wir bewusst nicht vor. Jedoch sind für uns Schwerpunkte wie Migrationserfahrungen, Identitätsfindung, Anderssein, Beheimatung, grenzüberschreitende Brückenfunktion u.ä. von besonderem Interesse.

Teilnahmebedingungen:

Wir möchten insbesondere junge Künstler*innen fördern und freuen uns über zahlreiche Einsendungen junger Menschen – vor allem aus Bayern. Grundsätzlich richtet sich diese Ausschreibung an alle Künstler*innen mit einem russlanddeutschen Bezug ohne Alters- und Wohnortbeschränkung.

Nutzung:

Mit der Einsendung Ihrer Dateien geben Sie uns automatisch die Einwilligung für den Abdruck Ihrer Bilder in der geplanten Publikation, d. h. Sie erlauben uns, ihre Beiträge honorarfrei im Rahmen dieser Ausschreibung zu veröffentlichen bzw. einzelne Bilder für die Bewerbung des Sammelbandes nutzen zu dürfen.

Urheberrecht:

Mit der Einsendung versichern die Teilnehmer zugleich, dass ihre Beiträge frei von Rechten Dritter sind, d. h. Sie sind der/die Urheber/in und haben bisher keiner anderen Institution oder Person für die bei uns eingereichten Bilder Exklusivnutzung eingeräumt.

(Bitte nehmen Sie diese Erklärung explizit in Ihrem Anschreiben an uns auf!)

Einsendung:

Die Bilder / Fotos bitte in gängigen Formaten (z. B. jpg, tiff oder pdf) in druckgeeigneter Auflösung per E-Mail an redaktion@bkdr.de, via Datenaustauschlink (Dropbox, WeTransfer etc.) oder auf einer CD/DVD per Post zukommen lassen – insgesamt bitte nicht mehr als 10 Bilddateien pro Teilnehmer. Als Betreff bitte „Maler der Gegenwart, Sammelband 2020“ angeben.

Wir benötigen auch ein kurzes Künstlerprofil (Werdegang samt einem Porträtfoto) sowie eine Liste mit Beschriftungen der einzelnen Arbeiten (Titel, Originalformat, technische Ausführung etc.). Für eine bessere Zuordnung sollten die Bilddateien durchnummeriert sein.

Wir freuen uns auf Ihre Einsendungen!

Nürnberg, April 2020

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„Es ist ein Kunststück von der Kunst zu leben“

Anlässlich der Veröffentlichung des sogenannten „Dankessongs“ im Rahmen des Projekts „Quarantänekunst“ bat das BKDR die russlanddeutsche Kabarettistin und Sängerin Viktoria Lein zu einem Interview. Das Lied thematisiert die prekäre Situation von zahlreichen Helferinnen und Helfern bzw. Menschen in den systemrelevanten Berufen während der Corona-Pandemie und hat die Optimierung von Arbeitsbedingungen für diesen Personenkreis zum Ziel. 

Viktoria Lein in der Aufnahmekabine zum Song „Precious“ .

Viktoria, Sie sind bereits eine gefragte Künstlerin und touren mit Ihrem Programm durch ganz Deutschland. Wo kommen Sie ursprünglich her?

V.L.: Ursprünglich komme ich aus Kasachstan und bin 1994 nach Deutschland umgesiedelt. Meine Musik- und Schauspielausbildung habe ich in Aktobe und anschließend in Almaty gemacht und bereits mit 19 Jahren am Deutschen Schauspieltheater als Vocal-Repetitorin und Schauspielerin gearbeitet. Nach der Auswanderung bin ich zusammen mit meinem Ehemann Heinrich Lein zuerst im Bayerischen Wald gelandet und ein Jahr später nach München umgezogen. In der Großstadt haben wir uns nach und nach die musikalische Karriere aufgebaut, was sich als ziemlich schwer erwiesen hat und worauf ich nun sehr stolz bin. Wir mussten zuerst ganz normalen Tätigkeiten (Sägewerk, Lebensmittelgeschäfte, Baumarkt, Kosmetikvertrieb, Werbeagentur etc.) nachgehen, um uns ein stabiles Einkommen zu sichern und „werkelten“ parallel dazu in der freien Zeit an der künstlerischen Karriere. Wir hatten damals u.a. Glück, im Rahmen der Veranstaltungen der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland auftreten zu dürfen und haben dadurch unser Netzwerk erweitert und viele tolle Menschen und Kollegen kennengelernt.  

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