Stiefkind der Geschichte? Eine revolutionäre Forderung von Johann Kronewald (1987)

(Dokument des Monats)

J. Kronewald: 1986 mit dem Orden des Roten Banners ausgezeichnet.

Nach dem Zweiten Weltkrieg tauchten in deutschsprachigen Zeitungen „für die sowjetdeutsche Bevölkerung“ gelegentlich historische Beiträge über deutsche Siedler auf. Diese waren jedoch oft in Bezug auf die Zeit nach 1941 dermaßen verklausuliert und verschwurbelt, dass sich geschichtliche Verortung, Zusammenhänge und Abläufe nur mit großer Mühe erkennen ließen. Russischsprachige Publikationen zu diesem Thema gab es praktisch keine. Insbesondere über Wolgadeutsche wurde eine totale Informationsblockade verhängt, sodass in der UdSSR von 1941 bis 1988 nur ein einziger (!) wissenschaftlicher Beitrag über Wolgadeutsche veröffentlicht werden konnte. Dieser behandelte bezeichnenderweise ein Ereignis aus dem 18. Jahrhundert, nämlich die Beteiligung der Wolgadeutschen am Bauernaufstand von Jemeljan Pugatschow, der zwischen 1773 und 1775 stattgefunden hatte. (1)

Als groteske Begebenheit könnte man folgende schildern: Über die Geschichte der deutschen Siedlungen an der Wolga berichtete in einem Buch relativ umfangreich Wladimir Schischmarew, ein Mitglied der Akademie der Wissenschaften der UdSSR. Das Buch war allerdings den romanischsprachigen (d. h. rumänischen, moldawischen, französischen oder italienischen) Siedlungen im Russischen Reich gewidmet.(2) Laut Schischmarew hatte es etwa siebzig „waschechte“ Franzosen unter den zumeist deutschen Einwanderern an der Wolga gegeben; die deutschsprachigen Elsässer und Lothringer wurden bei dieser Zahl nicht berücksichtigt. In dem Werk durfte eine detaillierte Schilderung der gesamten Ansiedlungspolitik bzw. -geschichte dieser ausländischen Kolonisten an der Wolga auf Russisch veröffentlicht werden, und zwar im Jahr 1975 (siehe die besagte Publikation, S. 92‒120). So wurde in der Nachkriegszeit über die oben erwähnten 70 (!) Personen – Kolonisten französischer Herkunft – unverhältnismäßig mehr geschrieben als über die 23.000 deutsche bzw. deutschsprachige Einwanderer in die Wolgaregion, die dort bereits ab 1764 angesiedelt wurden.

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BKDR-Wanderausstellung „Einblicke in das religiöse Leben der Russlanddeutschen“ in Bogen

Vor einer Woche wurde in der Evangelischen Erlöserkirche Bogen die BKDR-Wanderausstellung „Einblicke in das religiöse Leben der Russlanddeutschen“ eröffnet. Sie widmet sich der Geschichte und dem Glaubensleben der vielen Deutschen aus dem postsowjetischen Raum, die vor allem seit den 1990er-Jahren nach Deutschland übersiedelten und auch in Bogen eine neue Heimat fanden. Dadurch bereicherten sie das kirchliche Leben vor Ort und engagierten sich aktiv in der Gemeinschaft und den Gemeinden.

Die feierliche Veranstaltungseröffnung wurde mit einem Gottesdienst begangen, den Pfarrer Johannes Waedt und Pfarrerin Susanne Kim gemeinsam mit ökumenischen Gästen gestalteten, so war bspw. Pfarrerin i. R. Ingrid Enzmann, die damals für die Betreuung und Begleitung der (Spät-)Aussiedler in der evangelischen Kirche Bogen tätig war, unter den Ehrengästen dabei. Dahingehend wurde die Bedeutung des Miteinanders betont und dazu eingeladen, sich gegenseitig zuzuhören und voneinander zu lernen.

Die offizielle Eröffnung der Ausstellung selbst übernahm Eduard Neuberger, Vorsitzender der Ortsgruppe Straubing-Bogen der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland (LmDR), mittels eines ansprechenden Vortrags über die Deutschen aus Russland und allen anderen Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion.

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BKDR-Wanderausstellung „Einblicke in das religiöse Leben der Russlanddeutschen“ in Argentinien

Die BKDR-Wanderausstellung „Einblicke in das religiöse Leben der Russlanddeutschen“ wurde zum wiederholten Male in spanischer Sprache beim Verein der Nachkommen der Wolgadeutschen in Argentinien ausgestellt.

Die BKDR-Wanderausstellung „Einblicke in das religiöse Leben der Russlanddeutschen“ wurde vom 14. bis 17. Oktober 2025 im städtischen Kulturhaus von Carhué (Provinz Buenos Aires, Argentinien) präsentiert und für die breite Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

Zur feierlichen Eröffnung begrüßte der Verein der Nachkommen der Wolgadeutschen besonders die Kultur- und Bildungssekretärin der Gemeinde Adolfo Alsina, Gisele Caussanel. Sonia Hegen, Sekretärin des Vereins der Nachkommen der Wolgadeutschen in Carhué, stellte gemeinsam mit Mitgliedern des Vorstands die Ausstellung vor.

Neben historischen Einblicken in religiöse Traditionen der Russlanddeutschen erfuhren die interessierten Gäste auch mehr über den Dialekt, typische Rezepte und traditionelle Spiele. Familiengeschichten und persönliche Anekdoten bereicherten das Programm und würdigten das kulturelle und spirituelle Erbe jener Pionierinnen und Pioniere, die einst diese Region besiedelten.

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Statistik des Monats „Oktober 2025“

Nachdem wir im vergangenen Monat auf die „Interesse an Politik 2018 (nach Migrationshintergrund“ eingegangen sind, präsentieren wir Ihnen in diesem Monat die „Politische Selbstwirksamkeit 2018 (nach Migrationshintergrund)“.

Vor dem Hintergrund der geschilderten Ergebnisse lohnt sich ein genauerer Blick auf die politische Selbstwirksamkeit von (Spät)Aussiedlern. Selbstwirksamkeit bezeichnet in der Psychologie allgemein verschiedene Arten subjektiver Kontrollüberzeugungen zur Gestaltung des eigenen Lebens und des Umfeldes (Bandura 1997).

Politische Selbstwirksamkeit bezieht sich konkret auf das Verhältnis der Menschen zu Politik und politischen Akteuren. Dieses Verhältnis wird durch zwei getrennt voneinander zu betrachtende Aspekte bestimmt (Beierlein et al. 2012: 7; Niemi/Craig/Mattei 1991: 1407–1408; SVR-Forschungsbereich 2019: 8): Der erste Aspekt richtet sich auf die Selbstwahrnehmung als Überzeugung, politische Sachverhalte verstehen und durch Engagement beeinflussen zu können (internal political efficacy). Der zweite Aspekt nimmt die wahrgenommene Responsivität vonseiten der Politik in den Blick (external political efficacy). Hier geht es darum, inwieweit die Menschen davon überzeugt sind, dass politische Akteure auf das Engagement von Bürgern reagieren. Politische Selbstwirksamkeit kann insofern politische Partizipation fördern, was sich empirisch belegen lässt (Reichert 2016: 229). Umgekehrt kann die Wahrnehmung, keinen Einfluss ausüben zu können oder von der Politik nicht gehört zu werden, das Vertrauen in politische Institutionen gefährden.

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Ausstellung und Buchpräsentation „Wo die Pappeln wachsen“ mit Irina Unruh

Am 23. Oktober 2025 eröffnete das Haus der Heimat Nürnberg in Kooperation mit dem BKDR die Ausstellung und Buchpräsentation „Where the Poplars Grow“ (Wo die Pappeln wachsen) der Fotokünstlerin und Autorin Irina Unruh. Zahlreiche Besucher waren gekommen, um ihre eindrucksvollen Fotografien und die persönliche künstlerische Handschrift kennenzulernen. Die Veranstaltung fand im Rahmen des Projekts „Tage der deutschen Kulturvielfalt“ statt, gefördert durch den Geschäftsbereich Kultur der Stadt Nürnberg.


Nach der Begrüßung durch Natalie Keller (Geschäftsleiterin des Hauses der Heimat Nürnberg) und dem Grußwort von Dr. Harriet Zilch (Kunsthalle Nürnberg), führte Irina Unruh gemeinsam mit Viktoria Morasch in das Thema des Abends ein. Unruh berichtete von ihren Reisen nach Kirgistan, auf denen sie das Leben entlang der historischen Seidenstraße dokumentiert hatte. Ihr Fotokunstbuch „Where the Poplars Grow“, erschienen im April 2024 bei SHIFT BOOKS in Berlin und mit der Silbermedaille des Deutschen Fotobuchpreises ausgezeichnet, verbindet Fotografien und Erinnerungen zu einer persönlichen Erzählung über Kindheit, Heimat und Identität.

In ihren Bildern beleuchtet Unruh den Wandel postsowjetischer Landschaften sowie Bräuche und Traditionen ihrer Herkunftsregion. Im anschließenden Gespräch mit Viktoria Morasch gab sie Einblicke in ihre Arbeitsweise und die Entstehung des Projekts – es war auch ein offener und anregender Austausch mit dem Publikum.

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Nachtrag zur Fachtagung „Schwaben in Georgien – შვაბები საქართველოში – Swabians in Georgia: Multidisziplinäre Perspektiven auf eine deutsch-georgische Verflechtungsgeschichte“

Die letzten beiden Tage der Fachtagung „Schwaben in Georgien – შვაბები საქართველოში – Swabians in Georgia: Multidisziplinäre Perspektiven auf eine deutsch-georgische Verflechtungsgeschichte“ standen ganz im Zeichen der thematischen Vertiefung und des wissenschaftlichen Austauschs über zentrale Aspekte des deutsch-georgischen Kulturerbes.

Der zweite Tag widmete sich zunächst dem Überthema „Bewahrung des kulturellen Erbes“. Dr. Anna Khukhua (Staatliche Zereteli-Universität Kutaissi) präsentierte ihren Beitrag „Artefakte als Mosaiksteine des kulturellen Erbes: Ein Projekt zur Erfassung, Klassifizierung und Digitalisierung von Artefakten der deutschen Siedler in Georgien“ und stellte dabei eindrucksvoll die Bedeutung materieller Kultur für die historische Erinnerung heraus. Daran anschließend beleuchtete Lali Kakhidze (Ilia State University Tbilissi) in ihrem Vortrag „Die schriftlichen Archivalien der deutschen Siedlungen in Georgien: Einblick in die digitale Erforschung dieses kulturellen Erbes“ die Rolle schriftlicher Quellen und digitaler Archivarbeit für die Bewahrung und Zugänglichkeit dieses kulturellen Erbes. Prof. Dr. Oliver Reisner (Ilia State University Tbilissi) ergänzte die Reihe mit seinem Beitrag „Quellenkundliche Studien zur deutsch-georgischen Verflechtungsgeschichte“ und berichtete zudem über die Aktivitäten des Vereins zur Bewahrung des deutschen Kulturerbes im Südkaukasus.

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Begegnungen in Almaty / Kasachstan (Fortsetzung)

Gerne möchten wir weitere Ergebnisse der jüngsten Reise unseres wissenschaftlichen Mitarbeiters Dr. Viktor Krieger nach Kasachstan präsentieren.

Neben der Teilnahme an der Jubiläumskonferenz, veranstaltet vom Institut für Geschichte und Ethnologie der Republik Kasachstan, fanden zugleich anregende Gespräche mit der Institutsleitung (Prof. Dr. Ziyabek Kabuldinov) sowie einzelnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern (Dr. Timur Apendiev, Prof. Dr. Zhamilja Asylbekova u. a.) statt. Diskutiert wurde die künftige Zusammenarbeit zu verschiedenen Aspekten der Geschichte der deutschen Minderheit in Kasachstan – im Vergleich mit anderen ethnischen Gemeinschaften der Republik, sowohl während der Sowjetzeit als auch im souveränen Staat seit 1991.

Thematisiert wurden unter anderem Fragen der demografischen Entwicklung, der Repressionen sowie des Protest- und nonkonformen Verhaltens in der Nachkriegszeit.

Im Rahmen der Festveranstaltungen wurde Dr. Krieger mit der Tschokan-Walichanow-Ehrenmedaille ausgezeichnet. Das Institut für Geschichte und Ethnologie trägt den Namen dieses ersten kasachischen Intellektuellen und Wissenschaftlers. Ein wichtiger Partner auf diesem Weg ist das Zentrale Staatsarchiv der Republik Kasachstan, das eine Fülle von Dokumenten unterschiedlicher Gattungen zur Geschichte der deutschen Minderheit seit dem späten 19. Jahrhundert beherbergt. Das Treffen am 29. September d. J. mit dem Direktor des Archivs, Dr. Sabit Shildebay, machte das große Interesse an einer Zusammenarbeit mit deutschen Organisationen deutlich. Dabei wurde ein erstes gemeinsames Projekt besprochen: eine Ausstellung mit Dokumenten des Zentralen Staatsarchivs über 150 Jahre deutsche Präsenz auf dem Territorium des heutigen Kasachstans.

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„Unser Schnee von heute“ – Lesung in Hannover – am 9. November

Wann? 9.11.2025 (Sonntag), Wo? Hannover (Sahlkamp), 15:00 Uhr, Elmstraße 17a (ehemalige Sparkassenräume)

Melitta L. Roth, Jürgen Hafner und Artur Rosenstern stellen den Sammelband „Unser Schnee von heute“ vor

Die Ausgabe des Almanachs (Literaturblätter) mit dem Titel „Unser Schnee von heute“ ist anlässlich des 30. Jubiläums des Literaturkreises der Deutschen aus Russland zur Leipziger Buchmesse 2025 im BKDR Verlag erschienen und wurde im Rahmen dieser Buchmesse bereits von Autorinnen und Autoren wie Ira Peter, Eleonora Hummel und Artur Rosenstern vorgestellt.

Der Literaturkreis wurde im Oktober 1995 gegründet. Heute wie damals, bei den ersten Ausgaben der Literaturblätter, dient diese Bücherreihe primär der Vernetzung, dem Austausch, dem Dialog sowie der Integration und Förderung der aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion zugewanderten deutschen Autorinnen und Autoren. Ihre Themen möchten wir ins Gespräch bringen und auch junge Autorinnen und Autoren entdecken und ihnen eine Chance der ersten Publikation bieten.

Dabei müssen die Beiträge nicht zwangsläufig nur von Schreibenden mit russlanddeutschem Hintergrund stammen. Mittels Übersetzungen einzelner Beiträge aus dem Russischen bemüht sich die Redaktion außerdem um die Aufrechterhaltung des literarischen Dialogs mit den in den Herkunftsländern lebenden Literaten und Künstlern. Darüber hinaus möchten wir über Themen ins Gespräch kommen, die von gesamtgesellschaftlicher Relevanz sind und bei denen die Perspektiven von Zugewanderten sowie kulturell divers „tickenden“ Autorinnen und Autoren an anderen Stellen zu kurz kommen.

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Fachtagung „Schwarzmeerdeutsche: Kultur, Geschichte, Gegenwart“

Unter diesem Titel fand in der Bildungs- und Begegnungsstätte „Der Heiligenhof“ in Bad Kissingen eine deutschlandweite Fachtagung vom 17. bis 19. Oktober 2025 statt, die vom Bayerischen Kulturzentrums der Deutschen aus Russland (BKDR, Nürnberg) konzipiert und mitorganisiert wurde.

Die Fachtagung mit zahlreichen bedeutsamen und interessanten Vorträgen fand großen Anklang.

Die Bildungs- und Begegnungsstätte „der Heiligenhof“ wird von der Stiftung Sudetendeutsches Sozial- und Bildungswerk getragen. Die kulturellen Beiträge wurden durch das Kulturzentrum BKDR gefördert. Die Wanderausstellung der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland (LmDR) bildete den begleitenden Rahmen.

„Im vergangenen Jahr widmeten wir uns den Wolgadeutschen, heuer stehen die Schwarzmeerdeutschen im Mittelpunkt“, erklärte Waldemar Eisenbraun, Geschäftsleiter des BKDR.

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„Schwaben in Georgien – შვაბები საქართველოში – Swabians in Georgia: Multidisziplinäre Perspektiven auf eine deutsch-georgische Verflechtungsgeschichte“

Die Fachtagung „Schwaben in Georgien – შვაბები საქართველოში – Swabians in Georgia: Multidisziplinäre Perspektiven auf eine deutsch-georgische Verflechtungsgeschichte“ eröffnet einen umfassenden Einblick in die vielfältigen Facetten der deutsch-georgischen Geschichte und Kultur. Unter der fachlichen Leitung von Prof. Dr. Julia Ricart Brede (Universität Passau) wird die dreitägige Veranstaltung vom Bayerischen Kulturzentrum der Deutschen aus Russland (BKDR) organisiert und ausgerichtet.

Die Tagung begann am heutigen Nachmittag mit einer Begrüßung durch Prof. Dr. Olga Litzenberger (BKDR Nürnberg) im Namen von Waldemar Eisenbraun (Leitung BKDR), gefolgt von einer thematischen Einführung durch Prof. Dr. Julia Ricart Brede.

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