Zum 80. Jahrestag der bedingungslosen Kapitulation des Hitler-Deutschlands

Das Kriegsende, den Tag des Sieges – in der UdSSR am 9. Mai gefeiert – empfanden die Sowjetbürger deutscher Nationalität im Jahr 1945 als große Erleichterung, verbunden mit Hoffnungen auf Besserung ihrer Lage. Man glaubte, nach dem entbehrungsreichen Einsatz in Arbeitslagern und Deportationsgebieten – auch als Beitrag zum Sieg über den verhassten Feind – endlich wieder als gleichberechtigte, vollwertige Sowjetbürger anerkannt zu werden, die Rückkehr in die heimatlichen Wohnorte der Vorkriegszeit antreten zu dürfen und die Neuerrichtung der autonomen wolgadeutschen Republik zu erleben. Kurzum: Man erwartete die Wiederherstellung des Vorkriegszustandes. Die überwiegende Mehrheit der Betroffenen wäre in diesem Fall sicherlich bereit gewesen, schwerwiegende Rechtsverletzungen und rücksichtslose Ausbeutung als Auswüchse der Kriegszeit zu akzeptieren – als harte, aber letztendlich doch irgendwie zu rechtfertigende Maßnahmen im blutigen Ringen um den Sieg.

Eingangstor mit Wachhaus, ein Arbeitslager bei Tscheljabinsk.

Doch ihre berechtigten Erwartungen wurden bitter enttäuscht: Es dauerte weitere zehn Jahre, bis der Krieg Anfang 1956 auch für die Deutschen in der UdSSR formalrechtlich zu Ende ging. Bis dahin befanden sie sich als Sondersiedler in der Verfügungsgewalt der Sonderkommandanturen des Innenministeriums, durften die Orte der Pflichtansiedlungen im asiatischen Teil des Landes nicht verlassen und mussten schwere körperliche Arbeit in der Land- und Forstwirtschaft, auf Baustellen sowie in Industriebetrieben leisten.

Nach Stalins Tod 1953 und der drei Jahre später erfolgten Aufhebung des Sondersiedlerstatus wirkte das Alltagsleben weniger bedrückend und eine eingeschränkte Orts- und Berufswahl wurde gestattet. Dennoch wurden den Sowjetdeutschen weiterhin viele Bürgerrechte – aber vor allem Kollektivrechte – verweigert. Als greifbare Vertreter jener Nation, die gegen die Sowjetunion den langjährigen, verlustreichen Krieg entfesselt hatte, fungierte die Minderheit weiterhin als beliebtes Ziel antideutscher Ressentiments seitens Nachbarn, Kollegen oder Vorgesetzten.

Germanophobe Einstellungen waren im Sowjet- und Parteiapparat sowie in Behörden und Organisationen weit verbreitet – umso mehr, weil die Staatsführung zwischen dem äußeren Feind, den „deutsch-faschistischen Landräubern“, und den eigenen Bürgern deutscher Herkunft keinen Unterschied machen wollte. Ihre Geschichte und Kultur wurden in Massenmedien, Schulbüchern, wissenschaftlichen Untersuchungen, literarischen Werken, sowie musealen Ausstellungen konsequent totgeschwiegen oder verfälscht.

In der Nachkriegszeit blieb eine substanzielle politische, rechtliche, finanzielle und moralische Rehabilitierung aus. Im Gegensatz zu den etablierten Titularvölkern fehlte es für die Deutschen in der UdSSR an nationalen Museen, Bibliotheken, Kunstsammlungen sowie Verlagen oder Instituten zur Erforschung ihrer Sprache, Literatur und Geschichte – um das kulturelle Erbe der deutschen Sowjetbürger (wie es übrigens in der ASSR der Wolgadeutschen bis 1941 üblich war) zusammenzutragen, aufzubewahren, zu erforschen und zu propagieren.

Bis heute gibt es in der Russländischen Föderation kein zentrales Mahnmal für die deutschen Opfer von Deportationen und Arbeitslagern; kein Dokumentationszentrum; keine Gedenkstätte auf dem Gelände eines ehemaligen Lagers. Dieser Umstand hängt vor allem damit zusammen, dass in der UdSSR – und noch stärker im heutigen Russland – der Sieg über das NS-Deutschland im sogenannten „Großen Vaterländischen Krieg“ (so wird bis heute der Deutsch-Sowjetische Krieg 1941–45 bezeichnet) zum zentralen Narrativ nationaler Identität geworden ist.

Der Kernpunkt dieser staatlichen Geschichts- und Gedenkpolitik ist Patriotismus sowie Heldenkult: Der Stolz auf den Sieg über Deutschland und die moralische Überlegenheit gegenüber den „deutschen Faschisten“ werden sorgfältig kultiviert. Dabei werden alle dunklen Seiten des Stalinismus – Hungerkatastrophen, das GULag-Imperium, Deportationen ganzer Völker sowie gewaltsame Eingliederungen fremder Staaten oder Territorien – diesem Kulminationspunkt der russisch-sowjetischen Geschichte untergeordnet.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass die historischen Erlebnisse der Russlanddeutschen – welche diese positive nationale Basiserzählung konterkarieren – zunehmend verschwiegen, marginalisiert oder sogar entstellt werden. Ihr tragisches Kriegsfolgenschicksal wirkt bis heute nach.

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Dr. Viktor Krieger