Bakteriologische Diversion aus dem Jahr 1938
Zu den „klassischen“ Beschuldigungen in militärischen und ideologischen Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Staaten oder Staatenbünden gehört seit jeher die Bezichtigung der gegnerischen Seite, dass sie plant bzw. bereits Vorbereitungen getroffen hat, Massenvernichtungswaffen einzusetzen. Das jüngste Beispiel sind die Vorwürfe der Russländischen Föderation an die Ukraine, biologische Geheimlaboratorien zu unterhalten und an biologischen (bakteriologischen) Waffen zu arbeiten.
In solchen Beschuldigungen, die sich allerdings nicht selten an die Adresse der eigenen Bürger richten, hat Russland bzw. der Vorgängerstaat, die UdSSR, reichlich Erfahrung. Bereits vor 85 Jahren, während des „Großen Terrors“ der Jahre 1937-38, lautete einer der Anklagepunkte, insbesondere gegen die Ärzte, wie folgt: „Vorbereitung einer biologischen Diversion“. Dies musste unter anderem der Mediziner Wilhelm Bauer (1885-1938) am eigenen Leib erfahren, der in Kaltschinowka, im einstigen deutschen Siedlungsgebiet Grunau, Kreis Mariupol im Schwarzmeergebiet, geboren wurde. Er hat die angesehene Universität Dorpat absolviert und arbeitete in der Ukrainischen Unionsrepublik, zuletzt als Oberarzt im Krankenhaus Molotschansk, dem damaligen Zentrum des deutschen Nationalrayons Molotschansk (Informationen auf Russisch zum Nationalrayon finden Sie HIER). Zusammen mit drei weiteren Leidensgenossen, Vertretern der örtlichen deutschen Intelligenz, wurde er am 9. Juni 1938 verhaftet und am 28. September 1938 durch einen Dreierausschuss (Troika) des Innenministeriums NKWD zum Tod durch Erschießen verurteilt.
Neben solchen absurden Anklagepunkten wie Mitgliedschaft in einer „konterrevolutionären spionage- und Sabotageorganisation“ oder Aufstellung von „Sturmgruppen zur Durchführung von Terroraktivitäten“ lautete einer der wichtigsten Anklagepunkte: „Vorbereitung einer Diversionsgruppe, um bakteriologische Sabotageaktionen vorzunehmen“. Siehe nachstehend das Urteil des Sondergremiums des NKWD:
Die deutsche Übersetzung des NKWD-Urteils gegen Wilhelm Bauer vom 28. September 1938 können Sie unter dem nachstehenden Downloadbutton herunterladen:
Die angeblichen ausländischen Drahtzieher wurden ebenfalls genannt: in diesem Fall war die Rede vom Deutschen Reich. Was sich die sowjetischen Sicherheitsorgane damals unter der „bakteriologischen Sabotageaktion“ vorgestellt haben, war ziemlich dürftig. In den Untersuchungsakten steht lediglich, dass während eines geplanten Aufstandes hinterrücks der Roten Armee (während des erwartbaren deutsch-sowjetischen Krieges) auf Anweisungen des deutschen Geheimdienstes u. a. die Wasserquellen vergiftet werden sollten, damit „in den Kolchosen das Hornvieh und Pferde krepieren“ und dadurch die Bevölkerung „in Panik ausbricht“. Diese Sabotageaktionen sollten von den angeworbenen Ortsärzten und Studenten des Medizintechnikums durchgeführt werden.
Erst am 20. September 1989 hat die Staatsanwaltschaft des Gebiets Saporoshje diese abwegigen Beschuldigungen für nichtig erklärt und Wilhelm Bauer für unschuldig befunden.