Zur Entstehungsgeschichte der Petri-Pauli-Kirche in Tiflis

(Dokument des Monats)

Unser Quellenbestand zur Geschichte der deutschen Minderheit im Transkaukasus ist um ein weiteres seltenes Dokument reicher geworden. Es handelt sich um den „Bericht über den Bau der Evangelisch-Lutherischen PETRI-PAULI-KIRCHE in Tiflis 1893–1897“, herausgegeben vom Kirchenrat, Tiflis 1898.

Titelseite des Berichts

In der Broschüre finden sich wertvolle Hinweise auf die Entstehungsgeschichte der städtischen evangelisch-lutherischen Gemeinde in Tiflis (heute Tbilissi), die mit der Ansiedlung der württembergischen „Glaubensseparatisten“ im Herbst 1818 in direkter Verbindung steht.

Unter den anfänglich sieben Kolonien gab es eine unmittelbar in der Vorstadt mit dem Namen Neu-Tiflis. Dort wurde bereits im Februar 1834 das erste Kirchengebäude eingeweiht; die Siedlung selbst wurde 1861 eingemeindet und bildete seither den Kern des Kirchspiels Tiflis. Mit der Zeit wurden die Räumlichkeiten der einstigen Kolonistenkirche zu eng für die rasch wachsende Stadtgemeinde, und so beschloss der Kirchenrat, ein neues Gotteshaus zu bauen.

Die Broschüre enthält detaillierte Schilderungen nicht nur des finanziellen und bautechnischen Ablaufs der Bauarbeiten, sondern auch der innerkirchlichen Entwicklungen der Tifliser Gemeinde im 19. Jahrhundert. Am 18. Mai 1897 wurde die Petri-Pauli-Kirche unter großem Aufgebot von zahlreichen kirchlichen und weltlichen Würdenträgern, darunter Großfürst Nikolai Michajlowitsch und weitere hochrangige Vertreter der Militär- und Zivilverwaltung im Transkaukasus, eingeweiht.

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Viktor Krieger auf Recherchereise in Berlin

Unser wissenschaftlicher Mitarbeiter, Dr. Viktor Krieger, war vom 17. bis zum 21. Juni auf einer Recherchereise im Evangelischen Zentralarchiv (EZA) und in der Bibliothek des Bundesarchivs in Berlin. Das Evangelische Zentralarchiv beherbergt umfangreiches Material zur Kirchenpolitik des Sowjetstaates in den 1920er- und 1930er-Jahren. Interessant und aufschlussreich fand Krieger die Reaktionen, die diese Politik in kirchlichen Kreisen verschiedener europäischer Staaten ausgelöst hatte. Die Kirche hatte damals im Rahmen der Aktion „Brüder in Not“ vielfältige Unterstützung für die Wolga- und Schwarzmeerdeutschen, insbesondere während der Hungerjahre 1920‒1924 sowie Anfang der 1930er-Jahre geleistet.

Ev. Zentralarchiv, Berlin.

Die wachsende Unterdrückung und Verfolgung der deutschen Gläubigen sowie der evangelischen und katholischen Geistlichen lösten vor allem in Deutschland große Empörung aus und führten dazu, dass zahlreiche Hilfsaktionen ins Leben gerufen wurden. Davon zeugen dutzende Aktenordner, die verschiedene Berichte, Rechenschaften, Stellungnahmen, Statistiken, Briefwechsel von zahlreichen Personen mit In- und Ausland und dergleichen enthalten.

Insbesondere die Unterlagen des Gustav-Adolf-Werkes der Ev. Kirche Deutschlands zeigen das Ausmaß an Unterstützung für bedrängte Geistliche und einzelne Gläubige, sei es in Form von Hilfspaketen oder Überweisungen via Torgsin*, die eine Zeitlang möglich waren. Vor allem die Geistlichen fungierten damals als Vertrauenspersonen, empfingen und leiteten die Hilfe an die bedürftigen Gemeindemitglieder weiter.

Die in der UdSSR ausharrenden Pfarrer äußerten immer wieder den Wunsch, ihren Kindern die christliche Erziehung und höhere Bildung in Deutschland zu ermöglichen, da beides in der Sowjetunion nicht möglich war. Der Schriftwechsel allein zu diesem Thema füllt mehrere Aktenordner.

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Erster Universitätsprofessor aus dem Umfeld der Siedler-Kolonisten

(Dokument des Monats)

Friedrich Knauer (1849-1917) aus Sarata war eine bemerkenswerte Persönlichkeit unter den ehemaligen deutschen Kolonisten in Bessarabien und weit darüber hinaus, da er der erste Universitätsprofessor aus dem Umfeld der deutschen Siedler im Russischen Reich war. Mit dem folgenden Dokument möchten wir seine handschriftliche Bittschrift aus dem Jahr 1881 vorstellen, in der der zukünftige Professor um ein sogenanntes Professorenstipendium ersuchte. Aus dieser Eingabe erfahren wir wichtige Einzelheiten über seinen bisherigen Bildungs- und Berufsweg.

Fragment der Eingabe von Friedrich Knauer 1881. @ Estnisches Nationalarchiv (das vollständige Dokument sowie seine Transkription siehe die Dateien am Ende des Beitrags):

Die Bittschrift ist ein seltenes zeitgeschichtliches Dokument aus der Feder eines Siedler-Kolonisten in Russland, der aus ärmeren, bäuerlichen Verhältnissen stammte und eine erfolgreiche akademische Laufbahn einschlug, obwohl er die russische Staatsprache erst im Erwachsenenalter erlernte. Eine Besonderheit in Bezug auf den Schreibstil fällt auf: Knauer berichtet von sich selbst in der dritten Person, wie in der damaligen Zeit üblich.

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Literarisches Kulturerbe der Russlanddeutschen

In diesem Buch erwartet Sie eine bunte Mischung literarischer Formen und Blickwinkel...

In einem Lexikon wird Literatur folgendermaßen definiert: Sie ist „Gesamtheit der schriftlich niedergelegten Äußerungen, im engeren Sinn das gesamte schöngeistige Schrifttum“. Da stellen sich unweigerlich solche Fragen wie: Was wissen wir z. B. über das Leben und Werk eines wolga- bzw. schwarzmeer- oder sowjetdeutschen Schriftstellers, Literaten, Redakteurs, Journalisten, Verlagsmitarbeiters, Sprachwissenschaftlers oder Autoren von Schulbüchern? Was ist uns über ihre schöngeistigen Werke und ihr gesamtes Schrifttum bekannt? Wie wurden sie von den gesellschaftspolitischen Entwicklungen ihrer Zeit geprägt und wie haben sie selbst die damaligen kulturellen und literarischen Prozesse beeinflusst?

Die gesamte Thematik des „Literarischen Kulturerbes“ im breiten Sinne des Wortes gehört zu den Kernaufgaben des Bayerischen Kulturzentrums der Deutschen aus Russland (BKDR). Neben der Zugänglichmachung von zeithistorischen Werken und Quellen wird das besondere Augenmerk auf einige, bislang kaum erforschte Aspekte der nationalen Literaturgeschichte gelegt.

Zuerst wurden die Schicksale der sowjetdeutschen Kulturschaffenden in der Ukrainischen Unionsrepublik der Zwischenkriegszeit beleuchtet. Seit Beginn der 1930er Jahre wurde die überwiegende Mehrheit ihrer Vertreter in einer Reihe von Strafprozessen unter absurden Beschuldigungen verhaftet und zu mehrjähriger Lagerhaft oder zur Erschießung verurteilt [erste Hinweise hierzu finden Sie HIER!]. Die Auswertungen der entsprechenden Untersuchungsakten aus den ukrainischen Archiven der Staatssicherheit (Служба безпеки) erlauben es, neue Erkenntnisse über das literarische und kulturelle Leben der Deutschen in der Ukraine zu gewinnen und Biografien der verfolgten Intellektuellen in wesentlichen Punkten zu vervollständigen. Häufig konnte der Lebenslauf einer Person erst aus den Strafakten erstellt werden, da über sie bislang kaum etwas bekannt war.

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Erste russlanddeutsche Akademiker: Folgen 29, 30 und 31

Brüder Stenzel in Dorpat

Drei Brüder der Familie Stenzel aus dem Gouvernement Saratow studierten ebenfalls in Dorpat. Über das Leben und Werk des älteren, Johannes (1877–1946), der den Weg eines Seelsorgers eingeschlagen hat und lange Zeit an der Genezarethkirche in Berlin amtierte, ist vieles bekannt, hingegen kennen wir aus den Biografien der beiden jüngeren, Jakob (1882–1930) und Heinrich (1884 – nach 1910), die Medizin studiert hatten, nur wenige Details. Pastor Johannes Stenzel hat viel in verschiedener Periodika publiziert; von ihm stammen einige Bücher und mehrere Aufsätze über die Wolgadeutschen sowie die Christenverfolgung in Sowjetrussland.

Johannes Stenzel mit seinem bekanntesten Werk, Berlin 1923.

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Tagung und Workshop für junge Autorinnen und Autoren

(u. a. mit Eleonora Hummel und Artur Rosenstern)

Das Bayerische Kulturzentrum der Deutschen aus Russland (BKDR) und der Literaturkreis der Deutschen aus Russland veranstalten eine Tagung für junge und junggebliebene Autorinnen und Autoren in Nürnberg, die vom 14.06. bis zum 16.06.2024 stattfindet.

Die Teilnehmerzahl ist auf 20 Personen begrenzt!

Zielgruppe: junge und „junggebliebene“ Autorinnen und Autoren. Die Voraussetzung ist: gute bis stilsichere Beherrschung der deutschen Sprache. 

Bild (c) Depositphotos

Ziel des Workshops: Professionalisierung von deutschsprachigen Autorinnen und Autoren aus den Nachfolgestaaten der ehemaligen UdSSR, Vernetzung und Erfahrungsaustausch. Auch sollen u. a. Themen wie Herausforderungen bei der Realisierung von Publikationsprojekten, bei deren Vermarktung und Präsenz von Autorinnen und Autoren in den deutschen Medien diskutiert werden. Von dieser Zielsetzung ausgehend werden folgende theoretische Blöcke angeboten, denen praktische Teile und die gemeinsame Diskussion folgen sollen:

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Rechtschreibreform in der wolgadeutschen Republik

Dokument des Monats

Ausschnitt, Vollständiges Dokument s. unten Bild 1.

Im Deutschen Reich und in anderen deutschsprachigen Ländern hatte es eine lange Tradition und aktive Vorstöße gegeben, die zur Reform der deutschen Rechtschreibung, vor allem im 19. Jahrhundert, führten. Die Idee der Vereinfachung der deutschen Sprache blieb auch im 20. Jahrhundert präsent und mündete zuletzt in der allbekannten und bis  heute umstrittenen Reform der deutschen Rechtschreibung von 1996.

Ähnliche Bestrebungen und Versuche hatte es ebenfalls in der UdSSR in den deutschen Siedlungsgebieten in der Zwischenkriegszeit, etwa in der Ukrainischen Sowjetrepublik gegeben, doch vielmehr noch in der autonomen Republik der Wolgadeutschen. Auf den ersten Blick mag es überraschend erscheinen, weil in der wolgadeutschen Republik weniger als ein Prozent der weltweiten deutschsprachigen Bevölkerung lebte. Andererseits darf man den welthistorischen Anspruch der marxistisch-leninistischen Ideologie nicht unterschätzen: Man verstand sich quasi als erster und einziger deutscher sozialistischer Staat der Welt, der sich den Weg zur höchsten Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung bahnte, nämlich zum Kommunismus. Daher sahen sich die Partei- und Staatsspitze der autonomen Republik befugt, jegliche Frage und jegliches Problem der Welt anzugehen und Lösungen zu präsentieren.

Als Anlass diente die allgemeine Feststellung, dass „unsere deutschen Schulen in Bezug auf die Erfolge der Rechtschreibung weit hinter den russischen zurückbleiben“, weil „in der russischen Sprache die Rechtschreibung bedeutend vereinfacht, während in der deutschen die alte deutsche Rechtschreibung, die bekanntlich noch hinter der alten russischen zurücksteht, beibehalten wird.“ (Zur Reform der russ. Sprache von 1918 siehe den ausführlichen Bericht hier …)

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„Stimmen aus dem Niemandsland“, Literaturalmanach 2023-2024 erschienen

Das Buch aus der Reihe Literaturblätter der Deutschen aus Russland (Almanach 2023/2024) versammelt vorwiegend Texte von Autorinnen und Autoren, die im Spannungsfeld zwischen der deutschen und der russischen Kultur sozialisiert worden sind. Die Texte spiegeln die Vielfalt menschlicher Erfahrungen wider und drücken die Sehnsucht nach Heimat, Familie und einem sicheren, friedlichen Zuhause aus. Aspekte wie Fremdsein, Identitäts- und Heimatverlust beziehungsweise die Suche nach einer neuen Heimat sind in unserer von Migration geprägten Gegenwart aktueller denn je. Aufgrund ihrer wechselhaften und zum großen Teil tragischen Geschichte haben die Deutschen aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion einen besonderen Bezug zu diesen Themen entwickelt. Das Gefühl, immerzu DAZWISCHEN zu stehen, sich irgendwo im Niemandsland zu befinden, war prägend auch für frühere Generationen sowjet- und russlanddeutscher Autorinnen und Autoren.

In diesem Buch erwartet Sie eine bunte Mischung literarischer Formen und Blickwinkel. Zum Teil stammen die Beiträge von bereits etablieren Autorinnen und Autoren, zum Teil sind es Berichte von Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die auf detaillierte Art und Weise ihre Erinnerungen aus den letzten Jahrzehnten
festhalten. Überzeugen Sie sich selbst. Lauschen Sie den literarischen Stimmen aus dem Niemandsland!

Liste der Autorinnen und Autoren, die in diesem Band vertreten sind (nicht alphabetisch): Julia-Maria Warkentin, Irene Langemann, Wendelin Mangold, Eugenia Mantay, Elisabeth Schermuly, Heinrich Rahn, Inga Kess, Katharina Peters, Alexander Weiz, Elisabeth Steer, Andreas A. Peters, Helena Goldt, Max Schatz, Sergej Tenjatnikow, Rosa Kordan, Artur Rosenstern, Lydia Galochkina, Melitta L. Roth, Helene Rahn, Carola Jürchott, Mila Dümichen, Rosa Ananitschev, Ilona Walger, Viktor Krieger und Irene Kreker.

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Neuer virtueller Rundgang: Das Museum „An Erinnerungen anknüpfen“ in Aldea Valle María (ehemals Marienthal) in Argentinien

Das Bayerische Kulturzentrum der Deutschen aus Russland (BKDR) hat bisher 20 virtuelle Rundgänge (VR) zu Objekten mit russlanddeutschem Themenbezug in den Ländern Kasachstan, Russland, der Ukraine und Usbekistan veröffentlicht. Nun wird mit diesem innovativen Angebot des digitalisierten Museums „An Erinnerungen anknüpfen“ in Aldea Valle María (ehemals Marienthal) mit Argentinien ein Land aus Südamerika in das Forschungsfeld eingebunden.

Zum VR gelangen Sie HIER!

Das Museum „An Erinnerungen anknüpfen“ wurde am 18. Juli 2014 auf Initiative der Dorfbewohner sowie von Mitgliedern der Choreografiegruppe “Raíces Alemanas” und mit Unterstützung der Gemeindebehörden gegründet. Das Museum ist in einem typischen wolgadeutschen Haus untergebracht. Dieses Haus ist im Familienbesitz und wird an die Museumsbetreiber vermietet. Die meisten Ausstellungsobjekte wurden dem Museum von den Einwohnern gespendet. Im Jahr 2019 erwarb die Gemeinde zusätzlich ein Haus im historischen Ortskern, in dem die Familien Ortmann und Kranevitter von 1878 bis 2013 lebten. Die Räume wurden restauriert und teilweise umgebaut, wobei die typische Bauweise der dörflichen Gebäude beibehalten wurde. Die feierliche Eröffnung fand am 21. Juli 2023 im Rahmen des 145-jährigen Jubiläums der Ankunft der Wolgadeutschen und der Gründung der fünf Mutterkolonien statt. Der tiefe Glauben der Familien, die hier lebten, spiegelt sich in den beiden religiösen Gemälden an der Decke wider, die in den 1940er Jahren angefertigt wurden: das Heiligste Herz Jesu und eine Taube als Symbol des Heiligen Geistes.

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Materialien der Gründungskonferenz der „Wiedergeburt“ (1989)

Zur Vorgeschichte und Gründung der Gesellschaft „Wiedergeburt“, welche die Rechte und Interessen der deutschen Minderheit in der UdSSR wahren sollte, haben wir HIER bereits ausführlich berichtet. Für ein besseres Verständnis der Absicht und damit verbunden den Zielen der zum damaligen Zeitpunkt neuen Organisation, stellen wir unseren Lesern eine Broschüre mit Materialien dieser Zusammenkunft vor. Sie erschien zu jener Zeit in russischer Sprache – ähnlich wie ein Schriftstück aus den Zeiten der Samisdat-Literatur – und trug die etwas sperrige Überschrift: „Materialien der I. Allunions–Gründungskonferenz der Sowjetdeutschen (Moskau, 28.-31. März 1989)“.

Die Teilnehmer der Konferenz haben neben dem Programm, Statut und der Resolution ein bemerkenswertes Dokument verabschiedet: Den Appell an die Bevölkerung, die auf dem Territorium der einstigen Autonomen Republik der Wolgadeutschen lebte. Dort stand unter anderem:

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Eine Landkarte aus dem Jahr 1938 als Instrument der nationalsozialistischen Ideologie

Dokument des Monats Februar

Im Rahmen der Rubrik „Dokument des Monats“ möchten wir eine vielsagende Landkarte aus dem Jahr 1938 präsentieren. Diese zeigt laut Überschrift „den deutschen Bevölkerungs- und Kulturanteil in den Staaten Europas“ an. Was allerdings unter „Kulturanteil“ wirklich gemeint ist, geht aus der grafischen Darstellung leider nicht klar hervor. Hier liegt die Vermutung nahe, dass die Begriffe „Deutsch“ und „Kultur“ als gleichbedeutend eingestuft werden.

Deutschsprachige Minderheiten in europäischen Ländern, 1938 © Bundesarchiv

Die Bevölkerungszahlen und Siedlungsgebiete sind ziemlich genau angegeben. Allerdings handelt es sich hierbei faktisch lediglich um die Anzahl von Deutschsprachigen in den jeweiligen Staaten, denn 1938 verstand sich die Bevölkerung in der Schweiz, Elsass-Lothringen mehrheitlich oder auch teilweise in Österreich nicht als Deutsche, sondern als eigenständige Nationalitäten bzw. Nationen. Die Karte wurde nach dem Anschluss Österreichs an Deutschland veröffentlicht, die österreichische Bevölkerung wurde aus diesem Grunde administrativ de facto zu den Reichsdeutschen gezählt.

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Ein Zeichen gegen die staatliche Germanophobie aus dem Jahr 1967

(Dokument des Monats)

Subtile und offene Formen von Stimmungsmache gegen die Deutschen begleiteten die Geschichte der Sowjetunion seit Anfang der 1930er-Jahre bis zum totalen Zusammenbruch des Sowjetsystems 1991. Besonders stark waren sie verständlicherweise während des Deutsch-Sowjetischen Krieges sowie unmittelbar danach ausgeprägt. Aber auch in der „Nach-Stalin-Ära“ blieben die germanophoben Einstellungen und Vorurteile sehr virulent (siehe dazu unseren Beitrag Germanophobie im Russischen Reich und in der Sowjetunion).

Einer der wenigen Beispiele des Kampfes gegen dieses weit verbreitete Übel liefert uns das Archiv der Zeitung „Freundschaft“. Sie wurde ab dem 1. Januar 1966 zunächst in Zelinograd (heute Astana) und später, ab 1988, in Alma-Ata (Almaty), der damaligen Hauptstadt der Unionsrepublik Kasachstan, als Tageszeitung herausgegeben und erscheint aktuell als Wochenschrift unter dem neuen Namen „Deutsche Allgemeine Zeitung“ (DAZ).

Briefkopf der Zeitung „Freundschaft“, © Archiv des Präsidenten der Republik Kasachstan (AP RK), Almaty

Briefkopf der Zeitung „Freundschaft“.

© Archiv des Präsidenten der Republik Kasachstan (AP RK), Almaty.

Der erste Chefredakteur hieß Alexei Borisowitsch Debolski (1916-1997) – in politischen Angelegenheiten trat er unter dem Pseudonym Schmeljew auf: Debolski prägte das Erscheinungsbild der Zeitung mehr als zehn Jahre lang bis 1977. Er hatte aktiv am „Großen Vaterländischen Krieg“ teilgenommen und nach 1945 einige Jahre als Journalist für die „Tägliche Rundschau“ in Berlin gearbeitet. Als ehemaliger Politoffizier mit hervorragenden Kenntnissen der deutschen Sprache, der sich zudem literarisch betätigte, schien er ideal geeignet zu sein, um ein Presseorgan für die deutsche Minderheit im ideologisch erwünschten Sinne zu gestalten.

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Abschlussaufsatz über Bessarabiendeutsche an der Universität Dorpat

Das aktuelle Jahrbuch der Bessarabien- und Dobrudschadeutschen enthält den Abschlussaufsatz unseres wissenschaftlichen Mitarbeiters, Dr. Viktor Krieger, über bessarabiendeutsche Studenten an der Universität Dorpat zu Zarenzeit. Den ersten Beitrag dazu im Jahrbuch 2022 finden Sie HIER! auf unserer Homepage.

Letztendlich konnten 48 Siedler-Kolonisten aus Bessarabien ermittelt werden, die in den Jahren 1802 bis 1918 in Dorpat studiert hatten, davon genau die Hälfte oder 24 im Hauptfach Theologie. An zweiter Stelle fungierte die Medizinausbildung (12), gefolgt von Rechtswissenschaften (6), Philologie/Geschichte (4) und den naturwissenschaftlichen Fächern (2).

Zeitlich betrachtet, weist das gesamte 19. Jahrhundert 20 Studierende aus der Region auf. In etwa genauso viele (19) besuchten die Bildungsstätte in den letzten acht Jahren ihres Bestehens (1911‒1918). Dies spiegelt nur einige Ergebnisse dieser Untersuchung wider. Im Aufsatz werden die vielfältigen Lebens- und Berufswege der studierenden „Kolonistensöhne“ ausführlich analysiert. Anstelle dieser russischen kaiserlichen Bildungsanstalt entstand im unabhängigen Estland ab 1919 die nationale Universität Tartu (siehe: Krieger, Viktor: „Siedler-Kolonisten aus Bessarabien an der Universität Dorpat, Teil II“, aus: Jahrbuch der Bessarabien- und Dobrudschadeutschen, Heimatkalender 2024, S. 33‒61.).

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Wolgadeutsche Volkslehrer an den Fronten des Ersten Weltkrieges

Der Erste Weltkrieg 1914-1918, den der amerikanische Historiker George Kennan als die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ bezeichnete, hat im Russischen Reich am stärksten die deutsche Minderheit getroffen. Es lag in erster Linie an der militärischen Konfrontation mit dem Deutschen Reich, infolgedessen nicht nur der „äußere Deutsche“, d.h. die Bewohner Deutschlands, sondern auch der „innere Deutsche“, die deutschsprachigen bzw. -stämmigen Bürger des eigenen Landes zu Feinden Russlands erklärt wurden [siehe: „Den inneren Deutschen besiegen„].

Immerhin fand im Vergleich zum Zweiten Weltkrieg bzw. dem „Deutsch-Sowjetischen Krieg“ 1941-45 noch keine totale Entrechtung der „russischen“ Deutschen statt – ungeachtet zahlreicher Diskriminierungen, antideutscher Propaganda, beginnender Enteignungen oder gar partieller Deportationen aus den frontnahen Gebieten. Der wichtigste Unterschied betraf die Rekrutierungspraxis: Der deutschbaltische Adlige oder ein Schwarzmeer- oder Wolgakolonist wurden gleichermaßen wie andere Vertreter aus den Reihen der russländischen Völker (ausgenommen zentralasiatische und sibirische Ureinwohner) zum Dienst an der Front einberufen.

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Erste russlanddeutsche Akademiker im Zarenreich (Folgen 27 und 28)

Die Steinwandsein akademischer Familienverband aus Bessarabien

Daniel Steinwand (1857-1919), ein Porträt aus der Zeit um 1910. © Bundesarchiv, Berlin

Nachdem wir in den letzten Folgen dieser Reihe die Familie Seib vorgestellt hatten, möchten wir dieses Mal auf die Mitglieder der Familie Steinwand aus der ehemaligen deutschen Kolonie bzw. Siedlung Klöstitz in Bessarabien eingehen. Als Erster aus dieser Familie wurde Daniel Steinwand (1857–1919) Akademiker. Seine Eltern waren früh gestorben und er war deshalb zunächst in die Obhut von entfernten Verwandten aus der benachbarten Siedlung Sarata gekommen. Obwohl Daniel Steinwand „wenig Anregung für geistige Tätigkeit fand“ (wie ein Zeitgenosse von ihm bemerkt hatte), ließ er sich nicht entmutigen und kümmerte sich mit einem eisernen Willen um seine eigene Bildung, der ihn schließlich nach Dorpat, an die dortige Universität, führte. Nach dem Abschluss des Theologiestudiums amtierte er ab 1886 als Pastor im Kirchspiel Worms-Johannistal und ab 1908 in Odessa.

Er war eine bemerkenswerte Persönlichkeit, engagierte sich stark im Gemeinde- und Gesellschaftsleben. Die Liste seiner ehrenamtlichen Ämter und kulturellen Aktivitäten ist recht lang. Hier nur einige davon: Er regte jährliche Lehrerkonferenzen seines Kirchspiels an und gründete 1887 in Worms eine Schule für taubstumme Kinder samt Internat, Lehrerwohnungen und Werkstätten. Im „Südrussischen Deutschen Verein“ kümmerte er sich von 1906 bis 1914 um Schul- und Kirchenangelegenheiten. Er war einer von Initiatoren bei der Gründung des „Evangelischen Lazaretts für verwundete russische Krieger“, das 1914 in Odessa eröffnet wurde. Darüber hinaus entfaltete Pastor Steinwand eine rege publizistische Tätigkeit: Er gab Sammlungen seiner Predigten und Reden heraus, veröffentlichte zahlreiche Artikel in der „Odessaer Zeitung“ sowie anderen Presseorganen und redigierte etliche Jahre lang den „Christlichen Volksboten für die ev.-luth. Gemeinden in Südrussland“.

Jedem seiner vier Söhne ermöglichte er eine akademische Ausbildung bzw. Laufbahn. Zwei von ihnen gingen ebenfalls nach Dorpat und wurden genauso wie ihr Vater Pastoren: Friedrich (1888–1937) und Ludwig (1889 – nach 1941). Sein Neffe Eduard Steinwand (1890–1960) schlug eine ähnliche Laufbahn ein und wurde später sogar Professor an der Universität Erlangen.

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Das Krim-Taurien-Projekt aus dem Jahr 1918 und Pastor Immanuel Winkler

Anknüpfend an unseren letzten Beitrag unter dem Titel „Wie und wann entstand der Begriff „Schwarzmeerdeutsche“? im Rahmen der Reihe Dokument des Monats, möchten wir ein weiteres interessantes Dokument aus dieser Zeit vorstellen.

Es handelt sich dabei um ein Projekt aus dem Jahr 1918, das sich mit der Schaffung einer deutschen Kronkolonie unter dem Namen „Krim-Taurien“ befasst und auf Pastor Immanuel Winkler (1886–1932) als Initiator zurückgeht.

Immanuel Winkler als Theologiestudent an der Universität Dorpat, 1904.
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BKDR-Fachtagung: „Deutsches Radio in Kasachstan – Rückblick und Perspektiven“

„Es gab Gott und danach Minna Wagner“, beschrieb Michael Mastel (Karlsruhe) die Beliebtheit der deutschen Sendungen in Kasachstan am Beispiel seiner Mutter und sprach damit zahlreichen Deutschen der Nachkriegszeit, die in Kasachstan, der Altairegion oder Omsk sehnsüchtig dem deutschen Wort aus dem Hörfunkgerät lauschten, geradezu aus der Seele.

Das Bayerische Kulturzentrum der Deutschen aus Russland (BKDR) lud Hermina Wagner und vier weitere ehemalige Mitarbeiter des deutschen Hörfunks in Kasachstan sowie weitere Experten aus den Bereichen „Deutscher Rundfunk“ und „Printmedien“ in der ehemaligen Sowjetunion, im heutigen Kasachstan und Deutschland zur Fachtagung „Deutsches Radio in Kasachstan – Rückblick und Perspektiven“ vom 18.-19. November 2023 in die Räumlichkeiten des BKDR ein. In diesem Jahr feierte das deutsche Programm in Kasachstan seinen 65. Gründungstag.

Die Teilnehmer der BKDR-Fachtagung „Deutsches Radio in Kasachstan – Rückblick und Perspektiven“

Die Teilnehmer wurden von Waldemar Eisenbraun (Leitung BKDR) auch im Namen des Vorsitzenden des BKDR-Trägervereins, Herrn Ewald Oster, herzlich begrüßt. In der Einführung berichtete Eisenbraun über die Aktivitäten des Kulturzentrums und betonte anhand von Videobeiträgen zur Einweihung 2019 sowie zur Veranstaltung „30 Jahre Spätaussiedler in Bayern“ die Bedeutung der Kulturstätte als „Leuchtturmprojekt“, das bundesweit einmalig ist. Anfang 2024 feiert das BKDR sein 5-jähriges Bestehen.

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Wie und wann entstand der Begriff „Schwarzmeerdeutsche“?

Seit ihrer Einwanderung in die Schwarzmeergebiete des Russischen Reiches Ende des 18. Jahrhunderts bezeichneten sich die deutschen Siedler als „südrussische Kolonisten“, was vor allem ihre ständische Verortung verriet. Vom russischen Staat wurden diese Siedler seit ihrer Ankunft in einen besonderen Stand erhoben:

„Als Kolonisten werden nur solche Ausländer anerkannt, die sich auf Kron-, Privat- oder auf als Eigentum erworbenen Ländereien als Landwirte oder als in der Landwirtschaft nötige Handwerker ansiedeln; keineswegs dürfen ihnen Ausländer zugezählt werden, die sich, einzeln oder mit Familie, zwecks Handel und Gewerbe oder zum Erwerb eines städtischen Standes niederlassen. Hinweis: Die Einladung von Ausländern zur Ansiedlung wurde 1819 endgültig eingestellt, doch wurde nachträglich zu verschiedenen Zeiten die Übersiedlung von Ausländern nach Russland genehmigt.“

(Aus dem „Gesetz über die Kolonien der Ausländer im Russischen Reich“, dem sogenannten  „Kolonialkodex“, 1857).

Eine Bescheinigung des „Verbandes der deutschen Kolonisten im Schwarzmeergebiet“, die dem bessarabischen Studenten Cristian Sawall am 14. September 1918 für sein weiteres Studium in Dorpat ausgestellt wurde.  ©Estnisches Nationalarchiv.
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Internationale Konferenz in Regensburg

Am 6. und 7. Oktober 2023 fand am Wissenschaftszentrum Ost- und Südosteuropa (WiOS) in Regensburg eine hochkarätig besetzte Konferenz mit dem Titel „Vertreibung und Erinnerung. Forschungsstand und Geschichtspolitik im östlichen Europa“ statt. Führende Wissenschaftler dieses Fachgebiets aus Deutschland, Polen, Tschechien, Slowakei, Rumänien, Kroatien, Ungarn und Estland waren vertreten. Sie haben zum einen die Ursachen, den Verlauf und die Folgen der Umsiedlung, Deportation oder der Vertreibung der Deutschen aus ihren Ländern geschildert. Zum anderen wurden die Geschichtsschreibung und gesellschaftliche Auseinandersetzungen in der Nachkriegszeit mit dem historischen und kulturellen Erbe der einstigen deutschen Einwohner thematisiert.

Organisiert hat diese Tagung die Forschungsstelle „Kultur und Erinnerung. Heimatvertriebene und Aussiedler in Bayern 1945–2020“, die auf Initiative von Sylvia Stierstorfer, der Beauftragten der Bayerischen Staatsregierung für Aussiedler und Vertriebene, für den Zeitraum von 2022 bis 2025 gefördert wird. Angesiedelt ist sie beim Leibniz-Institut für Ost- und Südosteuropaforschung in Regensburg und wird von Prof. Dr. Katrin Boeckh geleitet.

Unser wissenschaftlicher Mitarbeiter Dr. Viktor Krieger war Teilnehmer der Konferenz und referierte zum Thema: „Die Ausreisebewegung nach Deutschland im Spiegel der sowjetischen und postsowjetischen Historiographie“.

Das Programm zur Konferenz finden Sie hier:

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BKDR-Bildungsreise nach Georgien

Die diesjährige BKDR-Bildungsreise „Auf deutschen Spuren in Georgien“ führt die etwa 20 Teilnehmer nach Georgien in ein Land, in dem zu Beginn des 19. Jahrhunderts einige deutsche Siedlungen gegründet wurden und dort bis zur Deportation der deutschstämmigen Bevölkerung im Jahre 1941 existierten.

Die Gruppe der BKDR-Bildungsreise vor der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Tiflis.

Am ersten Tag erkundete die Reisegruppe die deutschen Spuren in der georgischen Stadt Tiflis (Tbilissi), besuchte dabei die offizielle Vertretung der deutschen Minderheit in Georgien („Einung“) und wurde von dem Präsidenten dieser Organisation, Alexander Feldmaier, sehr herzlich empfangen. Er stellte den Gästen die Arbeit seiner Vereinigung vor, die vornehmlich darin besteht, die deutsche Kultur und Sprache im Land weiterhin zu bewahren und zu fördern. Unsere BKDR-Mitarbeiter Prof. Dr. Olga Litzenberger und Artur Böpple übergaben der „Einung“ eine Reihe an Büchern, die im BKDR Verlag erschienen sind.

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