„Das Leben ist zu kurz für langweilige Projekte!“
Prof. Dr. Olga Litzenberger stammt aus einer russlanddeutschen Familie und wurde in Saratow (Wolgagebiet) geboren. Erst seit September 2017 ist sie in Deutschland. Ihr Leben, ihr Beruf und ihre wissenschaftliche Arbeit waren schon immer sehr eng mit Deutschland und den Russlanddeutschen verbunden. In den 1990er Jahren, als die Deutschen aus Russland massenhaft Russland verließen, war es sowohl für ihre Eltern als auch für sie selbst bereits zum damaligen Zeitpunkt eine Zeit der Hoffnung: „Ich habe vor drei Jahren das Land verlassen, weil die Einschränkungen der Freiheit in den letzten Jahren ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit nicht nur in mir, sondern ebenfalls bei meiner Familie und vielen meiner Freunde ausgelöst haben. Ich möchte, dass meine Kinder in einem freien demokratischen Land leben.“
In Russland hat Frau Litzenberger alles erreicht, was sie erreichen konnte. Nach einem Geschichts- und Jurastudium folgte zunächst eine Promotion. Später habilitierte sie und erlangte schließlich den Professorinnentitel. Sie war Vizerektorin einer Hochschule in Saratow und Lehrstuhlinhaberin des Fachbereichs „Geschichte, Jura und Internationale Beziehungen“. Zudem war sie von 2009 bis zur Ausreise die Vorsitzende des Gebietsrats für religiöse Angelegenheiten. Weitere Erfolge sind unter anderem eine verliehene Regierungsmedaille für die Organisation und Durchführung der Volkszählung 2010 in Russland. Ebenfalls stolz darf sie auf ihre etwa 300 wissenschaftlichen Publikationen sein, die sowohl in Russland als auch in Deutschland, den USA, Italien, Finnland und anderen Ländern erschienen sind. Nichtsdestotrotz kam sie nach Deutschland, weil sie ihr Leben neu beginnen, neue Wege gehen und sich selbst neue Ziele setzen wollte.
Jetzt ist sie beim BKDR wissenschaftliche Mitarbeiterin. Hier setzt sie sich vor allem mit dem Themengebiet der Kirche in Russland auseinander: „Bereits das Thema meiner Dissertation lautete: „Die evangelisch-lutherische und die römisch-katholische Kirche in Russland.“ Meine Forschungsschwerpunkte liegen hier beim Kulturzentrum größtenteils im Bereich der religiösen und kulturellen Phänomene des 19. und 20. Jh. in Russland und setzen dabei voraus, dass die Kirche als Institution bei den Russlanddeutschen aus mehreren Perspektiven betrachtet wird. Hier spielen nämlich religiöse Toleranz sowie die Verfolgung von Geistlichen in Sowjetrussland eine erhebliche Rolle. Dies wird auch bei der aus zwei Teilen bestehenden Wanderausstellung „Einblicke in das religiöse Leben der Russlanddeutschen“ sehr deutlich.“
Neben Wanderausstellungen gibt es weitere Projekte, die von großer Bedeutung sind und nicht nur Prof. Dr. Litzenberger große Freude bereiten: „Zu meinen wichtigsten Projekten beim BKDR gehören z.B. die Stadtführungen „Russlanddeutsche Spuren in Nürnberg und in Regensburg“, die zahlreichen virtuellen Rundgänge der Museen in Russland, Kasachstan und der Ukraine sowie wissenschaftliche Konferenzen. Alle Projekte sind wichtig und interessant. Zudem bin ich fest davon überzeugt, dass das Leben zu kurz für langweilige Projekte ist! Die Arbeit macht mir sehr viel Spaß und dabei spielt es keine Rolle, ob ich einen Artikel für den kommenden BKDR-Kalender 2021 über die russlanddeutschen Kirchenarchitekten schreibe, oder in Vorbereitungen für wissenschaftliche Konferenzen stehe. Es kommt nicht selten vor, dass ich bis spät in die Nacht noch meine Bücher schreibe und mit Kollegen aus Russland, den USA und anderen Ländern Einzelheiten eines Projektes bespreche.“
Genau das ist mitentscheidend für Frau Litzenberger und fügt an: „Die Arbeit macht nur deshalb so viel Spaß und funktioniert so gut, weil ich sowohl vom BKDR-Team als auch von anderen namhaften WissenschaftlerInnen und kompetenten PartnerInnen im In- und Ausland eine großartige Unterstützung erhalte! Bemerkbar wird dies vor allem bei der derzeitigen organisatorischen Begleitung unserer großangelegten Datenbank-Projekte. Dazu werden wir in der kommenden Zeit mit Sicherheit mehr erzählen können, denn wir haben einen sehr guten Zugang zu wissenschaftlichen Informationen und uns zum Ziel gesetzt, unsere qualitativen Forschungsergebnisse der breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Ich darf verraten, dass es zum einen um „Genealogie“ und zum anderen um „Zwangsarbeiter im Ural“ geht.“ Bei all der Freude über ihren persönlichen Werdegang, ihre Arbeit und Forschungsinhalte sowie den sympathischen und fähigen Kollegen, wünscht sie sich in Bezug zur Geschichte und Kultur der Deutschen aus Russland Folgendes: „Ich wünsche mir für die Zukunft, dass es mehr Initiativen und Einrichtungen, WissenschaftlerInnen, themenbezogene Publikationen, Archive, Vereine oder Heimatmuseen gibt, die durch ihr Engagement die russlanddeutsche Kultur, Geschichte und Identität sowohl in den Herkunftsländern als auch in der Bundesrepublik vermitteln, verbreiten und fördern können!“
Das Interview führte Stanimir Bugar.