„Der Erlass des Präsidiums des Obersten Sowjets der UdSSR über die Aussiedlung der Deutschen […] sei nicht richtig.“ – ein Zeugnis der Standhaftigkeit und des Mutes aus dem Jahr 1945
Vor uns liegt ein bemerkenswertes Dokument aus den Federn eines inhaftierten wolgadeutschen Kommunisten, der während seiner Haft (!) im Jahr 1945 die Politik der Sowjetführung gegenüber ihren deutschen Bürgern unverhohlen missbilligte. Sich in solch einer prekären Situation dermaßen kritisch zu äußern, war ziemlich mutig.
Hier finden Sie die deutsche Übersetzung zu den oben angeführten Aussagen von Iwan (Johann) Becker:
Es handelt sich dabei um Iwan (Johann) Becker, der 1909 in einer Bauernfamilie in der Ortschaft „Krasny Kut“ (Gouvernement Samar) geboren wurde. Von 1927 bis 1929 diente er in der Roten Armee, in den 1930er Jahren war er in Organen der Miliz im Kanton Krasny Kut (Wolgadeutsche Republik) vertreten, später dann u. a. als Direktor des örtlichen Kolchosen-Sowchosen-Theaters tätig. 1941 wurde Becker in die Region Altai deportiert und Anfang 1942 ins Holzfällerlager „Iwdel“ (Iwdellag, Gebiet Swerdlowsk) zur Zwangsarbeit ausgehoben. Im Mai 1945 hat man ihn zusammen mit 19 weiteren deutschen Zwangsarbeitern, darunter dem einstigen Abgeordneten des Obersten Sowjets der UdSSR, Adolf Dehning, verhaftet und als „aktives Mitglied einer konterrevolutionären aufständischen Organisation“ beschuldigt. Er war einer der wenigen, die ungeachtet intensiver Verhöre, d. h. auch körperliche Misshandlungen waren Bestandteil dieser Verhöre, die ihnen inkriminierte „Schuld“ nicht zugegeben hatten. Nichtsdestotrotz wurde Iwan Becker am 15. Dezember 1945 von einem nichtgerichtlichen Organ, der Sonderberatung beim Volkskommissar des Inneren, zu zehn Jahren Straflager verurteilt. Ähnliche Haftfristen bekamen auch die anderen Mitangeklagten.
Sein Brief im Juni 1955 an den Partei- und Regierungschef, Nikita Chruschtschow, in dem er seine Unschuld beteuerte und Rehabilitierung forderte, bewirkte die Überprüfung dieser Strafsache. Nach mehrmonatigen Nachermittlungen hob schließlich das Präsidium des Swerdlowsker Gebietsgerichts am 20. Juni 1956 das damalige Urteil gegen Iwan Becker, Adolf Dehning und weitere 18 Personen auf, da „der Tatbestand eines Verbrechens“ fehlte. Sein weiteres Schicksal lässt sich aus den uns zur Verfügung stehenden Unterlagen leider nicht weiterverfolgen und bleibt somit ungewiss.