Neue Publikation im Gedenkbuch des Zwangsarbeitslager IWDEL
Das BKDR setzt die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Stalinismus kontinuierlich fort. In Kooperation mit russischen Historikern und Archivaren – die leider wegen des Angriffs auf die Ukraine zeitweilig unterbrochen ist – gelang die Veröffentlichung eines weiteren Gedenkbuches der russlanddeutschen Zwangsarbeiter. Dieses Mal das des Holzfällerlagers IWDEL (IWDELLAG) im Ural. Es ist bereits das siebte Buch dieser Reihe, die unter der Leitung von Prof. Dr. Viktor Kirillow (Nishni Tagil/Jekaterinburg) herausgegeben wird.
Das Buch zu IWDELLAG besteht aus zwei Bänden. Band 1 umfasst einen analytischen Teil, Erinnerungen der Zeitzeugen und Archivdokumente, die zu einem Großteil von unserem wissenschaftlichen Mitarbeiter Dr. Viktor Krieger ausgewählt, kopiert und digitalisiert wurden. Im Anhang dazu befindet sich das Bildmaterial unter anderem von Passfotos von mehr als 400 Personen. Der 2. Band enthält Informationen zu 17 827 Zwangsarbeitern, die in ihrer überwiegenden Mehrheit – zu über 95% – deutscher Nationalität waren. Davon sind offiziell allein im Lager 2 890 Personen bzw. 16,2% verstorben. Weitere 3 785 Personen wurden als „Schwächlinge“ demobilisiert, 994 Personen verhaftet und verurteilt. Wie viele von ihnen dabei entkräftet auf der Heimreise, im Straflager oder während der Abbüßung der Freiheitsstrafe verstarben, ist unbekannt.
Für den ersten Band lieferte Dr. Krieger u. a. einen Beitrag über einen der größten Strafprozesse in diesem Lager mit insgesamt 20 Angeklagten. Es handelte sich dabei um den prominenten „Trudarmisten“ Adolf Dehning, der 1938 bis 1941 Vorsitzender des Marientaler Kantonexekutivkomitees der Wolgarepublik und 1937 bis 1944 Deputierter des Obersten Sowjet der UdSSR war. Im Arbeitslager wurde er vorerst mit der Leitung eines Fuhrwerktransports und später mit der Verwaltung einer Strohsammelstelle betraut. Die Verhaftungen erfolgten größtenteils zwischen April und August 1945.
Die Anklageschrift beschuldigte diese 20 Zwangsarbeiter, „boshafte“ antisowjetische Agitation und Propaganda betrieben und eine „gewaltsame Befreiung der zur Arbeit mobilisierten Deutschen aus dem Lager“ aktiv vorbereitet zu haben. Einem Teil der Mitinhaftierten (die früher im Kanton Mariental gelebt hatten) wurde die Mitgliedschaft in einer antisowjetischen subversiven Organisation zur Last gelegt, die angeblich in der Wolgadeutschen Republik existiert haben soll.
Am 15. Dezember 1945 hat die Sonderberatung des NKWD der UdSSR sie in Abwesenheit zu mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt. Das Swerdlowsker Gebietsarchiv hob mit seinem Beschluss vom 20. Juni 1956 dieses NKWD-Unrechtsurteil auf und rehabilitierte alle hier involvierten Personen.
Die Abhandlung beinhaltet zusätzlich einige Fotos, Dokumente und Lebensdaten bzw. Biografien der Verurteilten.
Viktor Krieger: Delo antisovetskij povstančeskoj organizacii, sozdannoj Adol’fom Deningom, izvestnym stachanovcem i deputatom Verchovnogo Soveta SSSR. [Der Fall der antisowjetischen aufständischen Organisation, die von Adolf Dehning, einem angesehenen Stachanowarbeiter und Abgeordneten des Obersten Sowjets der UDSSR, gebildet wurde], in: Gedenkbuch. Kniga pamjati nemcev-trudarmejcev Ivdel’laga. 1941–1946. Tom 1 [Gedenkbuch der deutschen Zwangsarbeiter des Lagers Iwdel. Band 1]. Nishni Tagil, Hamburg 2022, S. 116-160.