Ein Zeichen gegen die staatliche Germanophobie aus dem Jahr 1967

(Dokument des Monats)

Subtile und offene Formen von Stimmungsmache gegen die Deutschen begleiteten die Geschichte der Sowjetunion seit Anfang der 1930er-Jahre bis zum totalen Zusammenbruch des Sowjetsystems 1991. Besonders stark waren sie verständlicherweise während des Deutsch-Sowjetischen Krieges sowie unmittelbar danach ausgeprägt. Aber auch in der „Nach-Stalin-Ära“ blieben die germanophoben Einstellungen und Vorurteile sehr virulent (siehe dazu unseren Beitrag Germanophobie im Russischen Reich und in der Sowjetunion).

Einer der wenigen Beispiele des Kampfes gegen dieses weit verbreitete Übel liefert uns das Archiv der Zeitung „Freundschaft“. Sie wurde ab dem 1. Januar 1966 zunächst in Zelinograd (heute Astana) und später, ab 1988, in Alma-Ata (Almaty), der damaligen Hauptstadt der Unionsrepublik Kasachstan, als Tageszeitung herausgegeben und erscheint aktuell als Wochenschrift unter dem neuen Namen „Deutsche Allgemeine Zeitung“ (DAZ).

Briefkopf der Zeitung „Freundschaft“, © Archiv des Präsidenten der Republik Kasachstan (AP RK), Almaty

Briefkopf der Zeitung „Freundschaft“.

© Archiv des Präsidenten der Republik Kasachstan (AP RK), Almaty.

Der erste Chefredakteur hieß Alexei Borisowitsch Debolski (1916-1997) – in politischen Angelegenheiten trat er unter dem Pseudonym Schmeljew auf: Debolski prägte das Erscheinungsbild der Zeitung mehr als zehn Jahre lang bis 1977. Er hatte aktiv am „Großen Vaterländischen Krieg“ teilgenommen und nach 1945 einige Jahre als Journalist für die „Tägliche Rundschau“ in Berlin gearbeitet. Als ehemaliger Politoffizier mit hervorragenden Kenntnissen der deutschen Sprache, der sich zudem literarisch betätigte, schien er ideal geeignet zu sein, um ein Presseorgan für die deutsche Minderheit im ideologisch erwünschten Sinne zu gestalten.

Er war in dieser Funktion stets bestrebt (gewiss nicht ohne den Einfluss seiner überwiegend sowjetdeutschen Kollegen), die deutsche Sprache und Literatur nach Möglichkeit zu fördern und zugleich die gröbsten antideutschen Stimmungen und Vorurteile zu bekämpfen.  Dies zeigte sich auch in seinem Brief vom 18. Dezember 1967 (gerichtet an den Leiter der Propagandaabteilung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kasachstans), in dem Dobolski sein Unverständnis in Bezug auf die breitangelegte Berichterstattung in den kasachischen Massenmedien über den Strafprozess in Nikolajew zum Ausdruck brachte.

Brief an A. P. Plotnikow, Quelle: © AP RK, Almaty (die Übersetzung s. unten)

In der ukrainischen Stadt Nikolajew fand im August und September 1967 ein aufsehenerregender Gerichtsprozess gegen die ehemaligen Mitglieder des sogenannten „Selbstschutzes“ statt, der hauptsächlich aus Schwarzmeerdeutschen bestand. Diese Gruppierung hatte während des Deutsch-Sowjetischen Krieges an den Massenerschießungen der jüdischen Bevölkerung unweit der Ortschaft Bogdanowka in Transnistrien teilgenommen. Vor allem der Umstand, dass ausgerechnet dieses Gerichtsverfahren gegen die mehrheitlich sowjetdeutschen Täter auf so breite Resonanz in den Medien stieß, irritierte und beunruhigte den Chefredakteur der deutschsprachigen Zeitung in Alma-Ata: „Es ist allen bekannt, dass in der UdSSR in verschiedenen Städten, die im Krieg unter die Kontrolle der faschistischen Besatzungsmacht geraten waren, zahlreiche Prozesse gegen Verräter und Mitglieder von Bestrafungskommandos (russ.: karateli) stattfanden, bei denen auch Vertreter vieler anderer nationaler Minderheiten angeklagt waren. „Warum hat die ,Kasachstanskaja Prawda‘, unmittelbar nach der Berichterstattung in der ,Industriellen Karaganda‘, ausgerechnet den Prozess von Nikolajew für ihre Leser ausgewählt?“

Angesichts der damals ohnehin bestehenden Informationsblockade in Bezug auf die Geschichte der deutschen Minderheit – über Verfolgungen und Deportationen während der Stalin-Zeit, über ihre aktive Mitbeteiligung an der Konstituierung der Sowjetmacht oder auch über ihren opferreichen Einsatz in diversen Arbeitslagern (sog. Trudarmija), der eben auch als ein wichtiger Beitrag zum Sieg über das NS-Deutschland zu verstehen ist – nährten solche prominent herausgestellten Medienbeiträge das negative Narrativ über die „Sowjetbürger deutscher Nationalität“ als vermeintliche Landesverräter und Sowjetfeinde zusätzlich. An diesem Sachverhalt konnten einzelne Personen wie Debolski mit ihren aufrichtigen Bemühungen um die Sache der Aufklärung kaum etwas ändern. Erst die Liberalisierung der sowjetischen Gesellschaft ab Ende der 1980er-Jahre führte zu einem offensichtlichen Abbau von antideutschen Ressentiments. Die gesellschaftspolitischen Ereignisse der letzten Jahre in Russland rufen allerdings die bedrückenden Erinnerungen an die längst überwunden geglaubten, schwierigen Zeiten wieder wach.