Dokumente jüngster Geschichte: Zwei Präsidentenerlasse zu einem ähnlichen Thema, die jedoch unterschiedlicher nicht sein könnten

In weniger als zwei Jahren, am 21. April 2014 und am 31. Januar 2016, hat Präsident Wladimir Putin zwei Erlasse in Bezug auf die Deportationen einiger Völker während der Stalinzeit unterzeichnet. Sie wurden hauptsächlich den zwei bis heute nicht vollständig rehabilitierten Nationalitäten gewidmet: den Krimtataren sowie den Wolgadeutschen – und damit insgesamt der Gruppe der Russlanddeutschen.

Auf dem Foto sehen Sie einen Teil der Absage in Bezug auf die Wiederherstellung der wolgadeutschen Autonomie. Quelle: Dr. Viktor Krieger.

Im ersten Fall handelte es sich um einen Rechtsakt betreffend die Rehabilitierung des Krimtatarischen und einer Reihe anderer Sowjetbürger armenischer, italienischer, griechischer, deutscher und bulgarischer Nationalität, die nach 1941 im Zuge der stalinistischen Repressalien aus der damaligen Autonomen Republik Krim deportiert wurden:

Vor allem auf die etwa 250.000 Menschen zählende Gruppe der Krimtataren wurde es abgesehen, die ca. 12% der Bevölkerung der Republik ausmachen. Bei aller berechtigten Kritik der Art und Weise, wie die Rehabilitierungspolitik praktisch umgesetzt wird, darf dennoch nicht übersehen werden, dass die Krimtataren dadurch als ein eigenständiges Volk anerkannt wurden und der Staat sich selbst auf dieser Grundlage zu finanziellen Leistungen verpflichtete, unter anderem durch die Legitimierung der seit Ende der 1980er Jahre eigenmächtig angeeigneten Grundstücke. Die Frage des Gedenkens wurde zu einem Bestandteil der Staatspolitik erhoben. Es entstanden Denkmäler für Vertreter nationaler Literatur, Politik und Kunst sowie mehrere Mahnmale. An den Orten der Deportation sind Gedenktafeln und andere Erinnerungszeichen angebracht worden. Der überwiegende Teil stammte allerdings noch aus der „ukrainischen“ Zeit, wird jedoch weitergepflegt. An den jährlich stattfindenden Trauerveranstaltungen am 19. Mai, dem Tag der Zwangsaussiedlung (1944) der Krimtataren und anderer Völker, nehmen regelmäßig hochrangige Vertreter der Staatsmacht des offiziellen Oberhaupts der Krim, u. a. Sergei Aksjonow, teil. Ferner sei erwähnt, dass am 16. Mai 2014, vor dem 70. Jahrestag der Deportation der Krimtataren, Wladimir Putin in Sotschi mit Vertretern des krimtatarischen Volkes zusammentraf.

Eine Reihe der Grund-, Mittel- und akademischen Bildungsstätten mit krimtatarischer Unterrichtssprache, nationale Kulturzentren, Museen, mehrere neu errichtete Moscheen etc. bilden eine gewisse Basis für den Erhalt und die Weiterentwicklung der Sprache und Kultur. Zusätzlich wurde das Krimtatarische, neben der russischen und ukrainischen Sprache, zu den Amtssprachen der Republik erhoben.

Diesbezüglich wird nicht untersucht, wie tiefgreifend die heutige russländische Führung die Wiedergutmachungspolitik gegenüber den deportierten Völkern betreibt, oder wie repressiv der Staat auf jegliche Erscheinungsformen der Unzufriedenheit der betroffenen Menschen reagiert.

Nachstehend die Erläuterungen in Bezug auf den zweiten Rechtsakt:

Hier verfügte Präsident Wladimir Putin im weitgehend wirkungslosen, jedoch formal noch rechtsgültigen Erlass von Boris Jelzin „Über sofortige Maßnahmen zur Rehabilitierung der Russlanddeutschen“ vom 21. Februar 1992, jede Erwähnung der Neubildung der territorialen Autonomie[1] für die Wolgadeutschen zu tilgen. Dies ist gleichbedeutend mit einer endgültigen Absage an die Gleichberechtigung der wolga- und mit ihr der gesamten russlanddeutschen Minderheit mit anderen russländischen Völkern. Bis heute gibt es in Russland keine einzige Bildungsanstalt mit Deutsch als Unterrichtssprache, kein einziges nationales Museum oder Theater, keine Literaturzeitschrift oder ein Institut für die Erforschung der Geschichte und Kultur, kein Mahnmal für die Opfer der Deportationen und keine einzige Gedenkstätte auf dem Gelände eines ehemaligen Zwangsarbeitslagers. Dem Gedenken wird somit jegliche gesellschaftliche Relevanz entzogen. Eine substanzielle Entschädigung oder staatlich finanzierte Rückführungs- und Ansiedlungsprogramme sind ebenso ausgeschlossen.

Im Ergebnis bleibt die deutsche Minderheit in der Russischen Föderation die einzige vormals verfolgte und entrechtete Nationalität, der eine substanzielle Wiedergutmachung verweigert wird.

Es stellt sich unweigerlich die Frage, wieso in zwei relativ ähnlichen Fällen die Ergebnisse doch so radikal unterschiedlich ausfielen? Der wichtigste Grund hierfür liegt in der schlichten Tatsache, dass die russische Führung sich in dieser Frage nicht an rechtsstaatliche Prinzipien orientierte oder eine ehrliche Aufarbeitung der Vergangenheit anstrebte, sondern ausschließlich nach machtpolitischen Interessen handelte. Aus dieser Perspektive war es nur noch konsequent, die Realität zu berücksichtigen und zu versuchen, die Krimtataren als einen nicht zu übersehenden gesellschaftlichen Faktor mit solch einer Zusicherung zu vereinnahmen.

In diesem zynischen – manche würden sagen „realpolitischen“ – Kalkül war offensichtlich kein Platz für ähnliches Entgegenkommen gegenüber der zwar zahlenmäßig größeren, aber uneinigen, zerstreuten, jedoch gesetzes- und staatstreuen deutschen Minderheit im eigenen Land.

Deutsche Vertreter von der Krim beklagen, dass sich hier seit zehn Jahren „für die Deutschen nichts geändert hat“, dass es kaum möglich ist, für die Nachkommen der einstigen deutschen Bewohner auf der Halbinsel Fuß zu fassen, da sie praktisch keine Unterstützung erfahren. Es fehlt an Unterkünften für die örtliche deutsche national-kulturelle Autonomie. Ein Beispiel aus der Stadt Kertsch: Die einstige lutherische Kirche in der Stadt wird nach wie vor nicht an die Gläubigen zurückgegeben. Andere sind verbittert, dass seit 2014 ausgerechnet Deutschland „die Bereitstellung von Mitteln für die ethnisch-kulturelle Entwicklung der Krimdeutschen stoppte“, sodass es momentan noch schwieriger ist, diese wichtige Arbeit zu verrichten. Die Zahl der Betroffenen geht rasant zurück: 2001 wurden auf der Krim 2.790 Deutsche registriert, 2014 nur noch 1.844 und im Jahr 2021 lediglich 922.


[1] Im Duktus der damaligen Zeit redete man von einer „Staatlichkeit“, einem Staatsgebilde, weil im sowjetischen Staatsrecht einer autonomen Republik den Charakter eines „unselbständigen Staates“ zugeschrieben wurde. Faktisch handelte es sich im Fall der deutschen Minderheit um eine Form der begrenzten territorialen Autonomie.