Ein „Dorfphilosoph“ aus Bessarabien

Dokument des Monats

Gottfried Höger
© Bessarabiendeutscher Verein.

Gottfried Höger (1832‒1902) aus Borodino war eine herausragende Persönlichkeit in seiner bessarabischen Heimat. Als Absolvent der renommierten Werner-Schule war er lange Zeit als Küster und Lehrer in Lustdorf und seit 1877 in Schabo (auch Chabag) tätig, einer schweizer-deutschen Siedlung, die etwa 50 km von Odessa entfernt an der Küste des Schwarzen Meeres lag. Dort hatte er mehrere öffentliche Ämter sowie Ehrenämter inne und befasste sich zudem mit dem Weinbau.

In seiner Freizeit betätigte sich Gottfried Höger unter anderem im geistig-kulturellen Bereich; er verfasste Beiträge für das Unterhaltungsblatt für deutsche Ansiedler im südlichen Russland sowie für die Odessaer Zeitung. Durch intensives Selbststudium eignete er sich ein immenses Wissensspektrum an. Es war damals nicht selbstverständlich, sich in der dörflichen Abgeschiedenheit, fern von jeglichen Bildungszentren und Großstädten, intellektuell zu betätigen.

Auch seinen Söhnen vermittelte Gottfried Höger einen Sinn für Bildung sowie die Grundlagen für geistiges und wissenschaftliches Arbeiten. Der älteste Sohn Heinrich (1857‒1924) studierte in Dorpat und Odessa, erwarb ein Jura-Diplom und arbeitete sich bis zum Präsidenten des Bezirksgerichts in Cherson hoch. Als ordentlicher Staatsrat (1914) gehörte Heinrich Höger zu den Spitzenbeamten im Russischen Reich. Der jüngere Sohn Emil (1861‒1895) studierte Naturwissenschaften in Dorpat und erwarb den Grad eines „Kandidaten der Physik“. Er arbeitete unter anderem am meteorologischen Observatorium der Universität Dorpat und hatte die besten Aussichten, „ein tüchtiger Gelehrter“ zu werden, wie ihm der Leiter des Observatoriums, Prof. Dr. Boris Sresnewsky, prophezeite. Der frühe Tod von Emil Höger war ein großer Verlust nicht nur für seine Familie, sondern auch für die Wissenschaft.

Gottfried Höger stellte seine geistig-religiöse Weltanschauung und seinen Gedankenreichtum in einem eigenständigen Werk vor: „Beiträge zur Charakteristik des Buches Hiob“, das in mehreren Folgen der Odessaer Zeitung im Zeitraum von 1892 bis 1895 veröffentlicht wurde. Aufgrund dieser Publikation wurde Höger inoffiziell als „ältester Philosoph und Schriftsteller“ (Albert Mauch) unter den Deutschen in Bessarabien bezeichnet.

Über seine Bildungsideale gibt eine bezeichnende Rede Auskunft, die Gottfried Höger zum 50. Jahrestag der Werner-Schule im Jahr 1894 hielt – jener Bildungsanstalt, die bei der Herausbildung der Intellektuellenschicht unter den deutschen Ansiedlern nicht nur in Bessarabien, sondern in der gesamten Schwarzmeerregion eine wichtige Rolle spielte. Die Rede wurde in zwei Ausgaben der Odessaer Zeitung (Nr. 181 und 182, 13. und 14. August 1894) veröffentlicht und sorgte monatelang für lebhafte Diskussionen. Nachfolgend bringen wir den Nachdruck dieses bemerkenswerten Zeitdokuments, versehen mit einem Kommentar von Albert Mauch (1867‒1960), der fast 30 Jahre lang als Direktor (1909–1937) die Geschicke der Werner-Schule leitete und als einer der besten Kenner der Geschichte seiner bessarabischen Heimat gilt.

G. Högers Rede, Nachdruck, Sonderbeilage „Schule und Erziehung“ des Deutschen Volksblattes (Tarutino), 1938. © Bundesarchiv Berlin.