Ein Dokument der Diskriminierung während des Ersten Weltkriegs

Allbekannt sind massive Verfolgungen und Diskriminierungen der deutschen Minderheit in der UdSSR während des Zweiten Weltkrieges – im Verlauf des sog. „Großen Vaterländischen Krieges“ 1941–1945. Dagegen sind die schon während des Ersten Weltkrieges im Zarenreich ergriffenen antideutschen Maßnahmen wesentlich weniger bekannt, weil sie zugegebenermaßen noch nicht so gravierend waren. Jedoch wurden sie von den Zeitgenossen spürbar wahrgenommen und führten zu Enttäuschung und Verbitterung.

Dokument 1 (Vorderseite)

Am Beispiel von Georg Rath (* 19. Oktober 1891; † 6. März 1977) lässt sich ein kleiner Aspekt dessen veranschaulichen. Er wurde im Gouvernement Cherson, in der deutschen Siedlung Kujalnik (Nesselrode) geboren, schloss das Gymnasium in Ananjewsk ab und ließ sich im August 1912 an der Universität Dorpat immatrikulieren. Dort studierte er vornehmlich Theologie und wurde Ende Juli 1916 einberufen – der Erste Weltkrieg war währenddessen im vollen Gange. Als Student durfte er einen Lehrgang zu einer Offiziersausbildung aufnehmen und trat in die Odessaer Militärschule ein (siehe DOKUMENT 1 [1] mit der entsprechenden deutschen Übersetzung [2]). Nach nicht einmal zwei Ausbildungsmonaten als Offiziersanwärter (Russisch: Junker) musste er die Lehranstalt verlassen und in einem Reserve-Infanterie-Regiment als Soldat antreten.

Der Grund war schlichter Natur: Nach der Überprüfung von Georg Raths Unterlagen, die aus der Dorpater Universität nach Odessa eintrafen, stellte sich heraus, dass er zwar ein russischer Staatsbürger ist, jedoch aus einer deutschen Siedlung (ehemaliger Kolonie) kommt. Und solchen Personen – übrigens wie auch ihren Leidensgenossen, den russischen Staatsbürgern jüdischen Glaubens – wurde die Aufnahme in militärische Lehranstalten ausdrücklich verboten, was auch schriftlich festgehalten wurde (siehe dazu die Rückseite des DOKUMENT 1, [3] Punkte 12 und 16). Diesen diskriminierenden Sachverhalt bestätigt ganz unumwunden das Schreiben der Odessaer Militärschule vom 21. September (siehe DOKUMENT 2) [4]. Hierzu die entsprechende deutsche Übersetzung [5] sowie die russischsprachige Transkription. [6]

Nach der Machtergreifung der Bolschewiki emigrierte Georg Rath nach Deutschland, wo er von Juli 1920 bis Januar 1922 seine theologischen Studien an der Universität Tübingen fortsetzte. Nach der Übersiedlung in die USA im Jahr 1922 vollendete er seine Ausbildung und diente längere Zeit als Gemeindepfarrer. 1946 wurde er außerordentlicher Professor für moderne Sprachen am staatlichen Kolleg in Peru, Nebraska, wo er bis zu seiner Pensionierung im Jahr 1961 lehrte. Die letzten Jahre seines Lebens widmete er einer ausführlichen Darstellung über Schwarzmeerdeutsche in Nord- und Süddakota, USA.[7]


[7] Ausführlicheres zu seinem Lebenslauf in: „Volk auf dem Weg“, 4/2022, S. 46.