Altbewährter Bolschewik Karl Rekst
Dokument des Monats
Die missliche Lage, in der sich die Sowjetbürger deutscher Herkunft ab 1941 befanden, führte in den folgenden Jahren zu verschiedenen, manchmal fast tragikomischen Aktionen der Betroffenen, um sich von dem Makel eines Deutschen – d. h. einer Person mit stark beschnittenen Rechten – zu befreien. Ein Beispiel dafür ist der Fall von Wladimir Koslow, der aufgrund des deutsch klingenden Nachnamens seines lettischen Adoptivvaters, Karl Rekst, in ein Arbeitslager zwangsmobilisiert und nach dem Krieg als Sondersiedler mit all den damit verbundenen Konsequenzen erfasst wurde.
Die langjährigen Bemühungen seiner und seines Adoptivvaters um die Anerkennung der russischen Volkszugehörigkeit blieben erfolglos ‒ wer einmal in die Mühlen der stalinistischen NKWD-Behörden geraten war, konnte sich später kaum davon retten, egal wie absurd die Situation auch erscheinen mochte. Erst nach Stalins Tod kam Bewegung in die Sache: Am 8. Februar 1954 stellte ein Offizier des Innenministeriums fest: „Unter Berücksichtigung, dass die nationale Zugehörigkeit von REKST-KOSLOW die einzige Grundlage war, ihn in das Register der Sondersiedler aufzunehmen […], schlage ich vor: Den Sondersiedler Wladimir Aleksandrowitsch Koslow als Person russischer Nationalität aus dem Register für Sondersiedler abzumelden.“
Der Grund für diese positive Entscheidung lag sicherlich vor allem in den sich verändernden Rahmenbedingungen der Nach-Stalin-Ära. Einen unmittelbaren Anlass bot das Schreiben des alten Parteimitglieds Karl Rekst vom 20. Juni 1953 an die Adresse des damaligen starken Mannes im Kreml, Nikita Chruschtschow. Der Verfasser hat das Wesen eines Sondersiedlers-Status ganz klar erfasst, das im völligen Widerspruch zu der damals offiziell geltenden Gesetzgebung und Verfassung stand: „ständige polizeiliche Überwachung“, „Entzug der von der Verfassung garantierten Staatsbürgerrechte“, „verwehrt das Recht auf Bewegungsfreiheit außerhalb des Kreises“, „mein Sohn befindet sich faktisch unter Arrest, und weder ich noch er kennen die Gründe, warum“ usw.
Er übt scharfe Kritik an dem Zustand, in dem sich sein Adoptivsohn befindet: „Ich kann nicht akzeptieren, dass in der UdSSR ein unschuldiger junger Mann, der 1917 geboren wurde, … ohne Grund unter ständiger polizeilicher Überwachung steht.“ Besonders empört ihn die Tatsache, dass dabei die Verfassung des Sowjetlandes verletzt wurde, denn „keine Person darf ohne staatsanwaltliche Genehmigung, ohne Gerichtsbeschluss und ohne Anklage in Gewahrsam genommen werden“. Der lettische Kommunist Karl Rekst, seit 1905 Mitglied der Partei, prangert diese empörende Ungerechtigkeit an: das Einsperren und die Überwachung in den Sondersiedlungen nur weil es seinen russischen Adoptivsohn betrifft, der irrtümlicherweise „verdächtigt“ wird, der „deutschen nationalen Minderheit anzugehören“. Dass dieser Zustand als Sondersiedler ausnahmslos für Hunderttausende unschuldige Sowjetbürger deutscher Herkunft – sowie für Vertreter einer Reihe weiterer Sowjetvölker – galt, scheint ihn nicht zu stören. So viel zum wahren Verständnis des sowjetischen Internationalismus, dem viel gepriesenen Kernelement der kommunistischen Ideologie, nicht nur im Staats- und Parteiapparat, sondern auch unter der breiten Masse der Parteimitglieder und insgesamt in der sowjetischen Bevölkerung.
Der Brief von Karl Rekst an Nikita Chruschtschow vom 20.06.1953 (Übersetzung) @ Innenministerium, Gebietsverwaltung Uljanowsk:
Brief von Karl Rekst auf Russisch: