„Es ist ein Kunststück von der Kunst zu leben“
Anlässlich der Veröffentlichung des sogenannten „Dankessongs“ im Rahmen des Projekts „Quarantänekunst“ bat das BKDR die russlanddeutsche Kabarettistin und Sängerin Viktoria Lein zu einem Interview. Das Lied thematisiert die prekäre Situation von zahlreichen Helferinnen und Helfern bzw. Menschen in den systemrelevanten Berufen während der Corona-Pandemie und hat die Optimierung von Arbeitsbedingungen für diesen Personenkreis zum Ziel.
Viktoria, Sie sind bereits eine gefragte Künstlerin und touren mit Ihrem Programm durch ganz Deutschland. Wo kommen Sie ursprünglich her?
V.L.: Ursprünglich komme ich aus Kasachstan und bin 1994 nach Deutschland umgesiedelt. Meine Musik- und Schauspielausbildung habe ich in Aktobe und anschließend in Almaty gemacht und bereits mit 19 Jahren am Deutschen Schauspieltheater als Vocal-Repetitorin und Schauspielerin gearbeitet. Nach der Auswanderung bin ich zusammen mit meinem Ehemann Heinrich Lein zuerst im Bayerischen Wald gelandet und ein Jahr später nach München umgezogen. In der Großstadt haben wir uns nach und nach die musikalische Karriere aufgebaut, was sich als ziemlich schwer erwiesen hat und worauf ich nun sehr stolz bin. Wir mussten zuerst ganz normalen Tätigkeiten (Sägewerk, Lebensmittelgeschäfte, Baumarkt, Kosmetikvertrieb, Werbeagentur etc.) nachgehen, um uns ein stabiles Einkommen zu sichern und „werkelten“ parallel dazu in der freien Zeit an der künstlerischen Karriere. Wir hatten damals u.a. Glück, im Rahmen der Veranstaltungen der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland auftreten zu dürfen und haben dadurch unser Netzwerk erweitert und viele tolle Menschen und Kollegen kennengelernt.
Soweit ich weiß, gibt es hierzulande bisher kaum KabarettistInnen mit russlanddeutschem Hintergrund. Es ist kein einfaches Genre. Wie sind Sie zu einer Künstlerin geworden? Wie kommen Sie ausgerechnet zum Kabarett?
V. L.: Zunächst war ich hauptsächlich als Sängerin tätig und bin auf Galas und Events sowohl als Solo-Sängerin als auch als festes Mitglied der gefragten Frauenband „Munich All Stars“ unterwegs gewesen. Wir hatten Auftritte europaweit, z.B. in Paris, Amsterdam, Istanbul, Korsika, Nizza etc. Doch da ich ursprünglich vom Theater komme, hat es mir gefehlt und ich habe mir lange überlegt, wie ich meine Musik am besten mit Schauspiel verbinden und dabei etwas Eigenes machen kann. Ich habe mir in diesen Jahren einfach Notizen gemacht und meine Erfahrungen als Sängerin aufgeschrieben. Dann passierte etwas, was meiner Karriere als Kabarettistin einen kräftigen Anstoß gegeben hat. Als ein Kunde ein paar Tage vor dem Auftritt den Wunsch geäußert hat, dass er jetzt doch lieber eine blonde Sängerin anstatt mich als Brünette für die Veranstaltung engagieren würde, war ich mehr als empört und fasste den Entschluss, ein Kabarettstück zu machen. Natürlich hat man mich dann doch engagiert und ich habe den Auftraggeber (auch wenn ich nicht blond bin) mit meinem Auftritt überzeugt und folglich zwei weitere Auftritte bekommen. Doch meine Empörung über die Reduzierung der Gesangsqualitäten auf die Haarfarbe war groß, die Enttäuschung saß tief.
So entstand mein erstes Soloprogramm „Singen Sie mal blond!“ Musikkabarett ist nun mein Baby und ich kann mich darin komplett ausleben und facettenreich arbeiten. Noch vor zehn Jahren dachte ich, „um Gottes willen, Comedy ist echt ein schweres Pflaster und die Leute zum Lachen zu bringen, ist das Schwierigste auf der Welt.“ Und dennoch habe ich mich dieser Herausforderung gestellt und es macht mir nun unheimlich Spaß. Ich spiele und singe lustige sowie schöne, anspruchsvolle Lieder und parodiere gerne Stimmen, Sänger, mache Dialekte und Akzente nach. Und natürlich ist Bayerisch mittlerweile nach über 20 Jahren zum heimischen Dialekt für mich geworden.
Gemeinsam mit anderen Künstlern und Freunden haben Sie in dieser schwierigen Zeit das Projekt „Quarantänekunst“ ins Leben gerufen. Dabei ist bereits der sogenannte „Dankessong“ entstanden und veröffentlicht worden. Sie persönlich performen den Song auf eindrucksvolle Art und Weise. Wer war der Initiator dieses Projekts? Welche Ziele werden verfolgt und welche Aktionen oder „Produkte“ sind sonst im Rahmen des Projekts realisiert worden?
V. L.: Vielen Dank für Ihre Worte! Mit dem Projekt „Quarantänekunst“ wollen 40 Künstler aus ganz Deutschland und zum Teil sogar aus der ganzen Welt auf ihre prekäre Situation durch die Folgen der Corona-Krise aufmerksam machen, gleichzeitig Menschen unterhalten und sie auf positive Gedanken bringen. Die Idee für das Projekt hatte meine Kollegin, Schauspielerin und Kabarettistin, Christina Baumer aus München. Als es mit der Ausgangsbeschränkung losging und wir Künstler ohne Jobs geblieben sind, hat sie einen Aufruf über Facebook gestartet und Künstler und Kreative unterschiedlicher Genres zusammengetrommelt. Christina hat mich direkt gefragt, was ich von einem Quarantänesong halte und ob ich ihn singen würde. Ich habe sofort Ja gesagt, wurde zum Mitglied des Teams und singe nun unsere Hauptsongs. Wir haben bis jetzt zwei Songs herausgebracht, dazu auch Videos. Die Texte und Musik schreibt Martin Gerke, Musikproduzent aus Köln – und so arbeiten wir räumlich auf Distanz, jeder in seinem Wohnzimmer und kommunizieren über Social Media. Unsere erste Zusammenarbeit, der „Quarantänesong“, hat derzeit schon über 32.000 Views. Die Videos veröffentlichen wir nun in ihrer vollen Länge täglich auf unserer Facebook-Seite. Mittlerweile ist unsere zweite große Kollaboration fertig: der Danke-Song „Precious“, in dem wir uns bei all denjenigen Menschen bedanken, die jetzt so viel für uns in systemrelevanten Jobs arbeiten. Auch dieser Song, von Martin Gerke produziert und von mir gesungen, erfreut sich derzeit großer Beliebtheit mit über 12.000 Views.
Es ist eine Herausforderung, zuhause Musik aufzunehmen, aber vor allem Videos dazu aufnehmen. Jeder gibt sein Bestes, damit es gut aussieht und klingt. An dieser Stelle danke ich meiner Familie, meinem Mann Heinrich Lein und meiner Tochter Gloria, für die Unterstützung bei Videoaufnahmen und Fotoshootings. Mein Mann hat neben der musikalischen Tätigkeit auch eine Agentur Lein-Up und vermittelt seit Jahren Künstler für Events und verschiedene Veranstaltungen.
Wo und wie kann man dieses Projekt unterstützen? Wenn ich mich detailliert über das Projekt informieren will, wie tue ich dies am besten?
V. L.: Über „Quarantänekunst“ kann man sich entweder über Facebook, Instagram oder auf unserer Homepage informieren. Und wer uns unterstützen möchte, kann sehr gerne uns abonnieren, unsere Beiträge liken und teilen. Außerdem haben wir einen Shop auf unserer FB-Seite eingerichtet, wo man Merchandising-Artikel, CDs etc. von unseren Künstlern erwerben kann. Und wenn das Ganze vorbei ist, freuen wir uns über volle Häuser und einen guten Ticketverkauf für unsere Veranstaltungen und Konzerte sowie natürlich über neue Buchungen. Alle wichtigen Informationen finden Sie über die angegebenen Links. Natürlich freuen wir uns auch über Sponsoren, die uns unterstützen wollen.
Der Veranstaltungsverbot trifft insbesondere die freischaffenden KünstlerInnen. Von der Kunst zu leben, war an sich schon immer ein großes Kunststück gewesen. In dieser prekären Lage mit Sicherheit umso mehr. Leider greift der Staat den freischaffenden Künstlern und Autoren nur bedingt unter die Arme (leider auch nicht überall). Wie ist die Situation diesbezüglich in Bayern? Können Menschen in den nächsten Wochen/Monaten mit staatlichen Zuwendungen rechnen?
V. L.: Ja, Sie haben Recht, es ist ein Kunststück von der Kunst zu leben, umso mehr waren wir immer stolz darauf, als russlanddeutsche Künstler hier und vor allem in München, in einer Großstadt von der Kunst stabil leben zu können. Keiner hat mit so einer kritischen Situation gerechnet und nun stehen wir da ohne Auftritte, ohne Einkommen. Viele Selbstständige in anderen Branchen hat es ebenfalls getroffen. Aber wir können uns glücklich schätzen und sind dankbar, dass wir in Bayern leben und der Staat uns unterstützt. Es gibt Hilfen für Freiberufler und Kleinunternehmen, die man beantragen kann und einige meiner Kollegen haben sie bereits erhalten. Manche warten noch, aber die Hilfe kommt und man kann ein paar Monate damit überbrücken. Ich hoffe, dass wir die Krise bald überstehen und dann wieder auf der Bühne stehen können und unser Publikum live erfreuen und unterhalten dürfen!
Vielen Dank für das Interview, Viktoria! Ich wünsche Ihnen viel Erfolg speziell für das aktuelle Projekt und bleiben Sie gesund!
V. L.: Ich danke Ihnen! Ich freue mich über die Zusammenarbeit mit dem BKDR und der Landsmannschaft der Deutschen aus Russland. Wir haben noch in diesem Jahr und auch schon für 2021 einige Veranstaltungen in verschiedenen Städten in Bayern geplant und ich freue mich, dass das Bayerische Kulturzentrum der Deutschen aus Russland mich bei meiner Tätigkeit als Kabarettistin unterstützt.
Die Fragen stellte Artur Böpple.
Internet-Links von und zu Viktoria Lein:
www.viktoria-kabarett.de
www.viktoria-music.de
viktoria-lein.de