„Es passiert mir immer wieder und das seit etwa 13 Jahren“

Vladimir Andrienko ist ein russlanddeutscher Komödiant und sprach im Interview mit dem BKDR über die Wahrnehmung seiner Person in der Gesellschaft und die Sozialisierung in Deutschland.

Vladimir Andrienko ist am 23.12.1979 im Dorf Izobilny in der Region Zelinograd – im Norden Kasachstans – geboren. In Astana hat er an der dortigen Hochschule Geschichte studiert. Nach seiner Ankunft in Deutschland absolvierte er an der Hochschule Düsseldorf das Studium der Sozialen Arbeit bzw. Sozialpädagogik. Genau in diesem Bereich ist der Komödiant auch heute noch hauptberuflich tätig. Im Alter von 22 Jahren ist er als Spätaussiedler nach Deutschland gekommen und entstammt sowohl väterlicher- als auch mütterlicherseits einer russlanddeutschen Familie.
Mit Comedy begann er bereits im Schulalter in Form von Nachstellungen kleinerer Sketche aus dem TV. Auf jahrelange Erfahrung aus der Zeit an der Universität Astana im berühmten studentischen KWN-Club (Klub der Lustigen und Schlagfertigen) kann er ebenfalls zurückgreifen. Später legte er den Fokus ausschließlich auf Duo-Comedy – bis hierhin alles nur auf Russisch. Ende 2014 hat er dann mit Stand-up-Comedy auf Deutsch angefangen. Seit nun schon fast 17 Jahren lebt er in Deutschland.

S.B.: Werden Sie häufig für einen Russen gehalten? Wie reagieren Sie dann und nehmen Sie es den Leuten übel?

V.A.: Ja, ich werde fast immer für einen Russen gehalten und als eben dieser benannt. Das liegt an meinem Akzent. Für andere Personen wird direkt ersichtlich, dass ich nicht in Deutschland geboren bin. Das ist auch nicht weiter schlimm – es ist ein Fakt. In Deutschland wird das Leben von Kategorisierungen in allen Bereichen geprägt. Alle versuchen so schnell wie nur möglich etwas Neues immer irgendwo einzuordnen. Damit wird vieles auf persönlicher Ebene erleichtert. So erkläre ich mir das. Es passiert mir immer wieder und das seit etwa 13 Jahren. Anfangs habe ich etwas genervt darauf reagiert, aber mittlerweile stört es mich überhaupt nicht mehr und ich nehme es mit Humor. 

S.B.: Welche Rolle spielen „Nationalitäten“ denn für Sie im Allgemeinen?

V.A.: Nationalitäten spielen für mich eine sehr geringe Rolle. Die Zugehörigkeit zu einer Nation oder einer Kultur kann mir jedoch dabei helfen, einige Verhaltensmuster bei einzelnen Personen zu erklären. Dennoch hat meine Erfahrung gezeigt, dass es immer sehr individuell ist, wie Menschen sich verhalten. Ich würde sagen, mir persönlich ist die Person selbst, ihr Verhalten, ihre Taten, ihre Einstellung sowie ihr Lebensmotto viel wichtiger als ihre Nationalität.

S.B.: Trotzdem bleibt die Frage: Fühlen Sie sich eher deutsch, russisch oder russlanddeutsch? Und: Woran wird dies erkennbar?

Ich fühle mich als deutscher Bürger, der sich zu zwei großen Kulturen, die deutsche und die russische, zugehörig fühlt. Ich erkenne es sehr deutlich daran, dass ich ungemein gerne in Deutschland lebe. Ich möchte in Deutschland arbeiten und bestimmte Ziele in meinem Beruf erreichen. Darüber hinaus möchte so viel wie nur möglich dem Gemeinwohl unserer Gesellschaft beitragen, denn ich versuche mich auch an der Entwicklung der Kultur und Kunst in Deutschland zu beteiligen. Ich bringe mich so gut wie nur möglich für dasjenige Land ein, in dem ich lebe!

S.B.: Und was sind dabei die alltäglichen Probleme eines Russlanddeutschen? Gibt es gravierende Unterschiede zu den Problemen von „Deutschen“?

V.A.: Ich denke, dass die meisten Probleme der Russlanddeutschen aus dem Bereich der Anerkennung und Akzeptanz in Deutschland entstammen. Ein langes Leben und in den meisten Fällen auch ein Kampf in der Sowjetunion um die eigene Identität als Deutscher, die Akzeptanz und Bewältigung der Folgen der Deportation – all dies führt dazu, dass man sehr stark an Selbstwertgefühlen als Deutscher gebunden ist. Auch Erfolge im beruflichen Leben im Herkunftsland spielen für die Identitätsbildung eine große Rolle. Nach der Einwanderung nach Deutschland wird diese Identität von den Einheimischen nicht wirklich anerkannt. Ja, offiziell sind Spätaussiedler Deutsche, doch in der Gesellschaft werden sie als „andere Deutsche“, als Migranten oder gar als Russen bezeichnet. Und fast immer ist diese Rhetorik abwertend zu verstehen. Dasselbe gilt auch sehr häufig im Beruf. Das ist schade. Diese ständige Identitätsfrage und Suche nach Akzeptanz in der Gesellschaft beeinträchtigen massiv das Wohlgefühl des Einzelnen. Auch das soziale Leben ist davon betroffen. Jeder Kontakt mit Einheimischen wird vermieden oder mit einer sehr starken inneren Auseinandersetzung aufgenommen – man ist permanent in Stresssituationen. Ich spreche hier nur von meinen ganz persönlichen Erfahrungen und Beobachtungen.

S.B.: Sie sind Sozialarbeiter. Inwiefern helfen Ihre (russlanddeutschen) Lebenserfahrungen, Werte und Ansichten sowohl bei Ihrer alltäglichen Arbeit als auch bei Ihrer Arbeit als Komödiant?

V.A.: Selbst ich als Deutscher musste mich hier integrieren als ich nach Deutschland kam. Ich kenne also den Prozess der Eingliederung aus eigener Erfahrung sehr gut. Daher verstehe ich die Problemlage jedes einzelnen (Neu-)Zugewanderten. Das hilft mir bei der sozialen Arbeit ungemein, da sehr viele meiner „Kunden“ einen Migrationshintergrund haben. Meine pädagogischen Werte haben sich noch während meines Studiums und der Arbeit als Lehrer in Kasachstan gebildet. Während des Studiums in Deutschland wurden meine Kenntnisse vertieft und erweitert – d.h. hier profitiere ich enorm davon, dass ich zu zwei Kulturen dazugehöre.
Meine Comedy hat einen sehr stark ausgeprägten russischen Background. Ich meine damit, dass bis vor kurzer Zeit meine Comedyerfahrungen weitestgehend aus der russischen Kultur stammten. Das hilft mir, die westliche bzw. deutsche Comedykultur relativ schnell zu analysieren, zu verstehen und mich daran anzupassen. Es verhält sich genauso wie mit dem Erlernen einer weiteren Fremdsprache. Sobald du einmal eine Fremdsprache gelernt hast, weißt du, was man beim Erlernen weiterer Sprachen beachten muss.
Lebenserfahrungen als Mensch mit Migrationshintergrund sind für Comedy immer wichtig und für Zuschauer sehr interessant. Meine Lebensereignisse aus Kasachstan finden bei den Zuschauern großen Anklang, Neugier und in den meisten Fällen lösen diese auch positive Reaktionen aus.

S.B.: Worauf zielen Sie bei Ihrer Comedy ab – abgesehen davon, dass Sie Leute zum Lachen bringen wollen? Gibt es immer eine Quintessenz, die Sie Ihrem Publikum mit auf den Weg geben möchten?

Mein Traum ist es, ein solches Soloprogramm auf die Beine zu stellen, in dem mein Akzent, mein Name oder mein Migrationshintergrund für die Zuschauer keine Rolle spielen. Viel wichtiger sollten vielmehr meine Gedanken, Botschaften und Überlegungen sein. Man soll mich einfach als Menschen wahrnehmen. Dazu müssen die Themen und Witze so interessant und stark sein, dass die Zuschauer erst gar nicht auf mein Äußeres bzw. auf das Erscheinungsbild von mir eingehen. Es ist ein noch sehr langer Weg, jedoch bin ich sehr optimistisch! Vor viereinhalb Jahren war mein erster Auftritt auf Deutsch und letzten Samstag konnte ich offiziell mein erstes Soloprogramm im BKDR in Nürnberg spielen. Es ist also alles machbar und genau das ist auch mein Motto und diejenige Botschaft, die ich meinem Publikum weitergeben möchte.

Vladimir Andrienko wenige Sekunden vor dem Start seines ersten Soloprogramms „Motorrad mit kaputtem Auspuff“ im gut gefüllten Saal des BKDR in Nürnberg.

S.B.: Glückwunsch zum ersten Soloprogramm beim Bayerischen Kulturzentrum der Deutschen aus Russland und Respekt für Ihre Ausdauer und Ihre harte Arbeit! Wie wichtig sind denn eigentlich Einrichtungen wie die des BKDR speziell für Jugendliche, jedoch nicht nur in Bezug auf die Vermittlung der Geschichte und Kultur der Deutschen aus Russland sondern auch in Bezug auf Sozialisierung etc.?

V.A.: Aus meiner Sicht sehr wichtig! Es ist vom Prinzip her eine Art der „offenen Runde“. Man braucht einen Raum – das meine ich abstrakt – um eigene Probleme, Ängste und Hemmungen mit den gleichermaßen Betroffenen zu teilen, sich auszutauschen und somit gegenseitig zu stärken. Das hilft auch im Bereich der Entwicklung des Selbstbewusstseins, in der Überprüfung eigener Werte sowie im Prozess der eigenen Persönlichkeitsentwicklung. All dies dient der Erleichterung des Sozialisierungsprozesses. Menschen, die eine Möglichkeit haben gehört zu werden, sich ausdrücken können und dürfen, sich nützlich fühlen, sind deutlich glücklicher als diejenigen, denen diese Plattform fehlt bzw. nicht gegeben wird. Glückliche Menschen sind offener für Neues, haben eine größere Bereitschaft zum Lernen und zeigen mehr Bereitschaft für einen aktiven Beitrag zum Gemeinwohl.

Vielen Dank für das interessante Gespräch!