Europäischer Tag des Gedenkens an die Opfer von Stalinismus und Nationalsozialismus
Am 23. August gedenkt Europa der Opfer von Stalinismus und Nationalsozialismus
Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und der Auflösung der UdSSR in den Jahren 1989–1991 waren es hauptsächlich die osteuropäischen Staaten, die sich um die Etablierung eines internationalen Gedenktags zur Würdigung der Opfer des Stalinismus bemühten. Der 23. August schien dafür am besten geeignet zu sein, weil an diesem Tag im Jahr 1939 das Dritte Reich und die UdSSR den Nichtangriffsvertrag (bekannt als Hitler-Stalin-Pakt oder Molotow-Ribbentrop-Pakt) geschlossen hatten, der zur Unterwerfung und Terrorisierung mehrerer osteuropäischer Staaten führte. Die nationalsozialistische Gewaltherrschaft in Europa dauerte 6 Jahre; die stalinistisch-bolschewistische mehr als 50 Jahre.
Bereits am 23. September 2008 gab es eine Erklärung des Europäischen Parlaments zur Etablierung des Europäischen Gedenktags an die Opfer von Stalinismus und Nationalsozialismus. Am 2. April 2009 behandelte das Europäische Parlament den Themenschwerpunkt „Europas Gewissen und der Totalitarismus“ und verabschiedete eine Entschließung, den 23. August zum europaweiten Gedenktag an die Opfer beider Diktaturen auszurufen.
Besonders stark litt unter dem Bolschewismus sowie dem Stalinismus die deutsche Minderheit in der UdSSR. Nach Schätzungen von Osteuropahistorikern waren unter ihnen in den Jahren 1917‒1948 mindestens 480.000 Opfer zu beklagen: Sie wurden ermordet oder verhungerten bzw. starben in den Straflagern, Deportations- und Internierungsgebieten aufgrund von Krankheiten. Eine schreckliche Zahl, wenn man bedenkt, dass im Jahr 1953 insgesamt etwa 1,35 Mio. Deutsche in der Sowjetunion registriert wurden.
Eine kurze Bilanz des Schreckens:
Folgenschwerste Ereignisse mit Opferzahlen
1917‒1922: Revolution, Bürgerkrieg, Epidemien und die katastrophale Hungersnot fordern im gesamten Land Millionen Opfer. Allein unter den Wolgadeutschen verhungerten in den Jahren 1921/22 mindestens 108.000 Menschen. Unter der Einbeziehung anderer Siedlungsräume im Schwarzmeergebiet, in Sibirien, Nordkaukasus, Zentralasien oder Zentralrussland sind für diese Jahre unter der deutschen Minderheit zwischen 180.000 bis 200.000 Opfer zu beklagen.
1928‒1933: Übergang zur Zwangskollektivierung der selbständigen Bauernwirtschaften einhergehend mit der restlosen Enteignung der wohlhabenden Bauern („Kulaken“) und ihrer Verbannung nach Kasachstan sowie in den Hohen Norden. Die Kulakendeportationen betreffen mindestens 50.000 Deutsche. Mehrere Tausend werden von der GPU (Geheimpolizei) verhaftet und abgeurteilt. Die Strafen reichen von dreijähriger Lagerhaft bis hin zu Erschießungen. In den Jahren 1932‒1933 fand eine erneute Hungerkatastrophe an der Wolga, in Kasachstan und in der Ukraine als direkte Folge der überstürzten und unfreiwilligen Kollektivierung statt. Insgesamt sterben nicht weniger als 80.000 Russlanddeutsche im Zuge der stalinistischen „Umgestaltung der Landwirtschaft“.
1937‒1938: „Der große Terror“: Die sowjetische politische Strafjustiz verurteilt in diesen zwei Jahren landesweit 1.345.000 Personen, von denen 681.692 erschossen werden. Die deutsche Minderheit ist davon überproportional betroffen, denn: Obwohl sie nur 0,8 Prozent der Bevölkerung der UdSSR stellt, hat sie 55.000 Tote zu beklagen – dies entspricht acht Prozent der Justizmorde; weitere 20.000 Menschen werden ins Straflager (GULag) gesteckt.
1941‒1945: Deutsch-sowjetischer Krieg, Deportation und Terrorisierung der „Sowjetbürger deutscher Nationalität“. In den Verbannungsorten in Sibirien und Kasachstan kommen aufgrund miserabler Unterbringungsbedingungen und fehlender Lebensmittel etwa 80.000 Deportierte ums Leben. Im Laufe des Krieges wurden circa 350.000 Jugendliche, Frauen und Männer zur Zwangsarbeit mobilisiert. Dabei sind ungefähr 70.000 Lageropfer zu beklagen. Die Gesamtverluste der russlanddeutschen Minderheit in den Kriegsjahren werden auf nicht weniger als 150.000 Menschen geschätzt.
1946‒1948: In diesen Nachkriegsjahren verhungerten in den Verbannungsgebieten und in Lagern zwischen 15.000–20.000 Deutsche, v. a. in den Hungerjahren 1946/47.