Jahrestag der Deportation der Russlanddeutschen: Ein Menetekel deutsch-russischer Geschichte

Zum 82. Mal jährt sich derjenige Tag, der das Leben von Millionen von Menschen unwiderruflich zerstört hat. Am 28. August 1941 legitimierte das höchste gesetzgebende Organ der UdSSR, das Präsidium des Obersten Sowjets, eine geheime Entscheidung der sowjetischen Parteiführung mit Stalin an der Spitze. Danach sollte die Autonome Republik der Wolgadeutschen liquidiert und ihre Einwohner deutscher Herkunft ohne Rücksicht auf Alter, Verdienste oder Parteizugehörigkeit nach Sibirien und Zentralasien deportiert werden. Daraufhin folgten weitere Zwangsaussiedlungen der Deutschen aus ländlichen und städtischen Orten aus dem europäischen Teil der UdSSR. Das Territorium der Wolgadeutschen Republik und andere historische Siedlungsgebiete wurden in die benachbarten russischen und ukrainischen Regionen einverleibt.

Eine Frontmeldung über „verräterische“ Aktivitäten der einheimischen Deutschen, die Gefechtsmeldung des Kriegsrates der Südfront vom 3. August 1941 an das Hauptquartier des Oberkommandos, die die Deportation und Entrechtung der deutschen Sowjetbürger auslösten.

Für die Betroffenen bedeutete dies neben dem Heimatverlust Ausplünderung ihres Besitzes, Zwangsarbeit, Hungersnot, Leid und zehntausendfacher Tod. Dem Kriegsende folgten jahrzehntelanges Leben als Personen minderen Rechts, zahlreiche Schikanen und Diskriminierungen, allgegenwärtige Germanophobie, Auslöschen des nationalen Kulturerbes und Verlust der Muttersprache. 

Dieses Verbrechen des Stalin-Regimes berührt nicht nur die davon direkt Betroffenen. Aus verschiedenen Gründen besitzt es eine gesamtdeutsche Dimension. Zum einen gibt es handfeste Indizien, dass die Erfahrungen mit der Deportation der deutschen Sowjetbürger als Blaupause, als Freibrief für die wesentlich breitangelegte Vertreibung und Aushebung zur Zwangsarbeit der Deutschen aus den östlichen Reichsgebieten und aus osteuropäischen Staaten diente. Diese mit der Billigung der Westalliierten durchgeführte innersowjetische Aktion war ein erster und durchaus wichtiger Schritt auf dem Weg der Zwangsmigrationen und territorialen Verschiebungen nach dem Zweiten Weltkrieg.

Zum anderen fehlt es bis heute an einer gründlichen Auseinandersetzung mit dem Kommunismus bzw. Stalinismus. Die Dimensionen der kommunistischen Massenverbrechen in der Sowjetunion, u. a. an der deutschen Minderheit, werden sowohl in Russland als auch in Deutschland in den Schulen, Medien oder gesellschaftlichen Debatten kaum thematisiert. Nicht von ungefähr bezeichnen viele russische Oppositionspolitiker die fehlende kritische Auseinandersetzung mit der kommunistischen Ideologie, der ausgebliebene Bruch mit stalinistischen Traditionen, Strukturen und Praktiken, die Bagatellisierung der kommunistischen Verbrechen und die versäumte Auseinandersetzung mit den Tätern im Bolschewismus bzw. Stalinismus als das größte Versagen der demokratischen Bewegung der 1990er und späterer Jahre. Dies sei wohl die wichtigste Ursache der fatalen politischen und gesellschaftlichen Entwicklung in Russland, die letztendlich zum Angriffskrieg gegen die Ukraine geführt hat.

Die mangelhafte öffentliche Anerkennung der deutschen Opfer von Stalinismus und die geringe Wertschätzung ihrer eigenständigen Erinnerungskultur, die verweigerte „Täterforschung nach dem GULag“ und der weit verbreitete Unwillen, sowjetische Verbrechen als solche zu bezeichnen, führen in der Bundesrepublik dazu, dass viele Bürger hierzulande für russische Propaganda und Geschichtspolitik, für antidemokratisches und totalitäres Gedankengut anfällig sind. Der nahende Jahrestag der Deportation der Russlanddeutschen mahnt die Politik und Wissenschaft eindringlich, sich am Beispiel dieser Bevölkerungsgruppe mit dem Phänomen „Verbrechen, Opfer und Täter im Stalinismus“ aus unterschiedlichen Perspektiven und intensiver als bisher zu befassen.

(Dr. Viktor Krieger, BKDR)