Erste russlanddeutsche Akademiker im Zarenreich (Folgen 22 und 23)
Von den in diesen beiden Folgen porträtierten Akademikern, die in Dorpat studiert haben, möchten wir an dieser Stelle Pfarrer Emil Schimke (1891–1945) etwas ausführlicher vorstellen. Er war einer der wenigen Geistlichen, denen es Anfang der 1930er-Jahre gelang, aus der Sowjetunion nach Deutschland auszureisen. Er wurde im bessarabiendeutschen Dorf „Basyrjamka“ geboren, studierte Theologie in Dorpat und diente daraufhin als Pastor in deutschen Siedlungen bzw. Gemeinden auf der Krim sowie in der Umgebung von Odessa. Eine Fotografie und der handschriftliche Vermerk auf deren Rückseite erlauben einen seltenen Einblick in das Alltagsleben des Geistlichen in der Zeit zwischen den zwei Weltkriegen, abseits seines kirchlichen Dienstes bzw. der öffentlichen Auftritte im Talar. Hier sehen wir die Familie des Pfarrers: seine Frau Lydia, die Kinder, darunter ein Stiefkind (scherzhaft genannt: Stiftkegel), und die Magd. In dieser Zeit diente Emil Schimke in der Pfarrgemeinde Hoffnungstal im Bezirk Odessa.
Die nachfolgend zitierte Eintragung auf der Rückseite weist leider Lücken auf; fehlende Wort- und Satzteile wurden sinngemäß in eckigen Klammern ergänzt; nicht eindeutig lesbare Stellen sind mit Fragezeichen versehen:
„Dieses Bild bietet euch einen Blick in eine tr[aute] Abendstunde in unserem Esszimmer. Oben sitze ich mit einem Journal in der Hand, rechts von mir meine [Ehefrau] und neben ihr unser Stiftkegel (?) Ruth Luise 5 1/2 Jahre [alt,] links von mir unsere älteste Tochter Irene und [neben] ihr der Erstgeborene Ernst-Emil, beide in Begr[iff, eine] Partie Schach zu spielen. Unter der Uhr unsere Ma[gd] (?)
Februar 1929 E. Schimke„
Das Bild samt dem Vermerk auf der Rückseite sind der Internetseite www.forum.ahnenforschung.net entnommen. Pastor Schimke blättert offensichtlich in der bekannten russischsprachigen Illustrierten „Ogonjok“ (auf Deutsch etwa „Flämmchen“ oder „Feuerchen“), die in Russland bis zum heutigen Tag eine recht breite Leserschaft findet. Das Gesamtbild vermittelt den Eindruck von Normalität und Unbeschwertheit. Tatsächlich war es die „Ruhe vor dem Sturm“: Einige Wochen später, am 8. April 1929, verabschiedete die Sowjetregierung die Verordnung „Über die religiösen Vereinigungen“. Diese Verordnung schränkte die Rechte vor allem der christlichen Gemeinden und Gläubigen enorm ein und führte zu einer maßlosen Verfolgung von Geistlichen, die von kommunistischen Behörden und Aktivisten verächtlich als „Kultdiener“ tituliert wurden.
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