In weniger als zwei Jahren, am 21. April 2014 und am 31. Januar 2016, hat Präsident Wladimir Putin zwei Erlasse in Bezug auf die Deportationen einiger Völker während der Stalinzeit unterzeichnet. Sie wurden hauptsächlich den zwei bis heute nicht vollständig rehabilitierten Nationalitäten gewidmet: den Krimtataren sowie den Wolgadeutschen – und damit insgesamt der Gruppe der Russlanddeutschen.
Im ersten Fall handelte es sich um einen Rechtsakt betreffend die Rehabilitierung des Krimtatarischen und einer Reihe anderer Sowjetbürger armenischer, italienischer, griechischer, deutscher und bulgarischer Nationalität, die nach 1941 im Zuge der stalinistischen Repressalien aus der damaligen Autonomen Republik Krim deportiert wurden:
Zur Vorgeschichte und Gründung der Gesellschaft „Wiedergeburt“, welche die Rechte und Interessen der deutschen Minderheit in der UdSSR wahren sollte, haben wir HIER bereits ausführlich berichtet. Für ein besseres Verständnis der Absicht und damit verbunden den Zielen der zum damaligen Zeitpunkt neuen Organisation, stellen wir unseren Lesern eine Broschüre mit Materialien dieser Zusammenkunft vor. Sie erschien zu jener Zeit in russischer Sprache – ähnlich wie ein Schriftstück aus den Zeiten der Samisdat-Literatur – und trug die etwas sperrige Überschrift: „Materialien der I. Allunions–Gründungskonferenz der Sowjetdeutschen (Moskau, 28.-31. März 1989)“.
Die Teilnehmer der Konferenz haben neben dem Programm, Statut und der Resolution ein bemerkenswertes Dokument verabschiedet: Den Appell an die Bevölkerung, die auf dem Territorium der einstigen Autonomen Republik der Wolgadeutschen lebte. Dort stand unter anderem:
Im Rahmen der Rubrik „Dokument des Monats“ möchten wir eine vielsagende Landkarte aus dem Jahr 1938 präsentieren. Diese zeigt laut Überschrift „den deutschen Bevölkerungs- und Kulturanteil in den Staaten Europas“ an. Was allerdings unter „Kulturanteil“ wirklich gemeint ist, geht aus der grafischen Darstellung leider nicht klar hervor. Hier liegt die Vermutung nahe, dass die Begriffe „Deutsch“ und „Kultur“ als gleichbedeutend eingestuft werden.
Die Bevölkerungszahlen und Siedlungsgebiete sind ziemlich genau angegeben. Allerdings handelt es sich hierbei faktisch lediglich um die Anzahl von Deutschsprachigen in den jeweiligen Staaten, denn 1938 verstand sich die Bevölkerung in der Schweiz, Elsass-Lothringen mehrheitlich oder auch teilweise in Österreich nicht als Deutsche, sondern als eigenständige Nationalitäten bzw. Nationen. Die Karte wurde nach dem Anschluss Österreichs an Deutschland veröffentlicht, die österreichische Bevölkerung wurde aus diesem Grunde administrativ de facto zu den Reichsdeutschen gezählt.
Auf der unten vorgestellten Zeichnung sehen Sie ein einfaches, beinahe primitives Gefährt, den Traktor der Marke Saporoschez. Dieser ging in die Geschichte als erster sowjetischer Traktor ein, der serienmäßig produziert wurde. Die Anfertigung begann 1923 und lief bis 1927; insgesamt wurden davon 500 Stück (nach anderen Angaben 800 bis 900) hergestellt. Seine Entwickler, Ingenieure Leonhard Unger (1884-1937) und Gerhard Rempel (1885-1937), stammten aus der mennonitischen Siedlung namens Kitschkas (Einlage).
Geschichtlicher Rückblick
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts bildete die Schwarzmeerregion das Zentrum des russischen landwirtschaftlichen Maschinenbaues. Die Landmaschinenindustrie im Russischen Reich erzeugte im Jahr 1911 Waren im Wert von 50.317.000 Rubel, davon fielen auf das Schwarzmeergebiet 27.210.000 Rubel, rund 54 Prozent des Gesamtwertes. Von den in der Statistik aufgeführten 164 südrussischen Fabriken befanden sich 66 in der Hand deutscher Siedler; der Jahresumsatz dieser Werke betrug 12.780.000 Rubel, d. h. 47 Prozent des Gesamtumsatzes in dieser wichtigsten Region. Man denke nur an die größte Pflugfabrik im Russischen Reich, die Johannes-Höhn-Pflugfabrik in Odessa, an die Landmaschinenfabriken Lepp & Wallmann in Chortitza oder an die Aktiengesellschaft „Handelshaus Ja. Koop – Werke für Landmaschinen und -inventar“ in Einlage (Kitschkas) – beide Ortschaften sind heute Teil der Stadt Saporoschje.
Dokument des Monats: Aus dem Jahresbericht des Deutschen Generalkonsulats in Charkow, 1935
Mit dem „Dokument des Monats“ März präsentieren wir Auszüge aus dem politischen Jahresbericht des Deutschen Generalkonsulats in Charkow zur Lage in der Ukrainischen Unionsrepublik, erstellt am 6. Dezember 1935. Charkow war bis Juni 1934 die Hauptstadt der Ukraine, und das Generalkonsulat verfügte entsprechend über eine erfahrene und fachkundige Personalbesetzung. Weitere deutsche Konsulate in dieser Republik gab es in Kiew und Odessa.
Ungeachtet der fast dreijährigen NS-Herrschaft in Deutschland zeichnet sich der Bericht durch eine ideologische Zurückhaltung und abgewogene Sachlichkeit aus, ausgenommen der Stellen, die sich mit der deutschen Minderheit in der Ukraine befassen. Das Auswärtige Amt blieb von der NS-Partei in der ersten Zeit offenbar weitgehend verschont, weil das NS-Regime eine Zeitlang auf den Rat der erfahrenen Diplomaten angewiesen war.
Viele Betrachtungen und Schlussfolgerungen in diesem Bericht erlauben einen fundierten Einblick in die inneren Verhältnisse in der Ukrainischen Sowjetrepublik. Der zentralen sowjetischen Staats- und Parteiführung sei es – unter anderem mithilfe der organisierten Hungerkatastrophe der Jahre 1932-1933 – weitgehend gelungen, zwei wichtige Gefahren für ihre Machtstellung zu unterbinden; sie brachen den Widerstand der Bauern und unterdrückten die ukrainische nationale Bewegung. Die Moskauer Machthaber konnten sich dabei auf eine breite Schicht der gefügigen Anhänger der neuen sozialistischen Ordnung sowohl auf dem Lande als auch (und vor allem) in der Stadt stützen.
Die Erforschung der Geschichte des nonkonformistischen Denkens und oppositioneller Bewegungen, des gewaltlosen Widerstandes im sowjetischen Unrechtsstaat ist und bleibt ein wichtiges Anliegen des Bayerischen Kulturzentrums der Deutschen aus Russland (BKDR). Dazu gehören unter anderem das Sammeln, Aufbewahren, die öffentliche Zugänglichmachung und Präsentation von Dokumenten verschiedener Art, sei es behördlicher oder privater Natur, die den friedlichen Kampf der Sowjet- bzw. Russlanddeutschen um ihre Bürgerrechte in der UdSSR anschaulich machen. Es sind Briefe und Tagebücher, Appelle und Bittschriften, Erinnerungen und Zeitzeugenberichte, Schriften und Periodika der Untergrundbewegung, audio- und audiovisuelle Zeugnisse und vieles mehr. Vor Kurzem überließ uns Eduard Deibert, ein bekannter Aktivist der Ausreisebewegung der Deutschen in der UdSSR und unermüdlicher Kämpfer um ihre Rechte sowohl in der Sowjetunion als auch in der Bundesrepublik, einen wesentlichen Teil seines umfangreichen Nachlasses. Daraus möchten wir nun einige relevante Dokumente öffentlich präsentieren.
Als Erstes zeigen wir Ihnen ein Bild, auf dem Andrei Sacharow, der weltberühmte Physiker, ehemaliges Mitglied der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, Vorkämpfer für die Menschenrechte und Friedensnobelpreisträger, zusammen mit seiner Frau Jelena Bonner abgelichtet ist. Auf der Rückseite befindet sich Sacharows persönliche Widmung, die an Friedrich Ruppel adressiert ist. Dieses Bild mit der Widmung wird nun zum ersten Mal öffentlich zugänglich gemacht.
Der berühmte Regimekritiker nahm sich immer wieder auch dringender Anliegen der unterdrückten Sowjetdeutschen an und unterstütze sie bei ihren Aktivitäten tatkräftig. Wie z. B. Friedrich Ruppel, der einst prominenter Dissident und Herausgeber des Samisdat-Almanachs mit dem Titel „Re-Patria“ war.
Das Jahr 2021 steht nicht nur im Zeichen des Gedenkens an den 80. Jahrestag der Deportation der deutschen Bevölkerung der UdSSR. Eine nicht minder wichtige Bedeutung wird dem 100. Trauerjubiläum des Beginns der verheerendsten Hungersnot in der Geschichte der russlanddeutschen Minderheit beigemessen. Die Hungerkatastrophe der Jahre 1921-1922 suchte vor allem die russischen Gouvernements und nationalen Gebiete (Tatarstan, Baschkirien u.a.) entlang des Wolga-Flusses heim, betraf zusätzlich auch angrenzende Gebiete in Kasachstan, im Südural, Nordkaukasus und in der Ukraine. Dabei stellte die gerade 1918 entstandene Wolgadeutsche Autonomie eines der Gebiete dar, die am stärksten von der Hungersnot betroffen waren. Allein in diesen beiden Jahren sind unter den Wolgadeutschen mindestens 107,5 Tsd. Personen bzw. 27% der Einwohner des autonomen Gebiets (der Arbeitskommune) verhungert oder an Seuchen und Krankheiten elendig zugrunde gegangen. Siehe dazu: Bürgerkrieg und Hungersnot in der Wolgadeutschen Republik. Tausende und abertausende deutsche Siedler verhungerten in der Ukraine und auf der Krim, im Nordkaukasus und in Kasachstan. Insgesamt kostete diese humanitäre Katastrophe dem Sowjetstaat nicht weniger als 5 Mio. Menschenleben.
Die Dokumentensammlung des Kulturzentrums ist unlängst um ein aufschlussreiches Zeitdokument aus den 1930er Jahren reicher geworden. Es handelt sich um ein Zeugnis (Diplom) des Deutschen (Agro-)Pädagogischen Instituts (DPI), auch Deutsches Pädinstitut genannt, aus dem Jahr 1932, ausgestellt für Konrad Kober. Diese Hochschule war die erste akademische Bildungseinrichtung in der Autonomen Wolgadeutschen Republik und feierte 1932 ihre ersten Absolventen.
Über den jungen Akademiker Konrad Kober ist bislang recht wenig bekannt. Er wurde 1908 im Dorf „Schäfer“, zu Sowjetzeiten Kanton Krasnojar, in der Familie des einstigen Dorfältesten Johannes Kober geboren. Nach der Absolvierung des DPI arbeitete er als Lehrer. Zusammen mit seinen vier Brüdern und Schwestern wurde Konrad mit seiner Frau und drei Kindern 1941 nach Sibirien deportiert. Er kam in einem Zwangsarbeitslager während eines Grubenunglücks um.
Auf dem nachstehenden Gruppenfoto sind Teilnehmer der ersten Nachkriegsdelegation der deutschen Bevölkerung in der UdSSR zu sehen, die in Moskau im Januar 1965 die vollständige Rehabilitierung der Minderheit und die Wiederherstellung der Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik der Wolgadeutschen (ASSRdWD) forderten. Vier weitere Delegierte, die zu diesem Zeitpunkt bereits abgereist waren, fehlen auf dem Bild.