Wolgadeutsche Volkslehrer an den Fronten des Ersten Weltkrieges

Der Erste Weltkrieg 1914-1918, den der amerikanische Historiker George Kennan als die „Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts“ bezeichnete, hat im Russischen Reich am stärksten die deutsche Minderheit getroffen. Es lag in erster Linie an der militärischen Konfrontation mit dem Deutschen Reich, infolgedessen nicht nur der „äußere Deutsche“, d.h. die Bewohner Deutschlands, sondern auch der „innere Deutsche“, die deutschsprachigen bzw. -stämmigen Bürger des eigenen Landes zu Feinden Russlands erklärt wurden [siehe: „Den inneren Deutschen besiegen„].

Immerhin fand im Vergleich zum Zweiten Weltkrieg bzw. dem „Deutsch-Sowjetischen Krieg“ 1941-45 noch keine totale Entrechtung der „russischen“ Deutschen statt – ungeachtet zahlreicher Diskriminierungen, antideutscher Propaganda, beginnender Enteignungen oder gar partieller Deportationen aus den frontnahen Gebieten. Der wichtigste Unterschied betraf die Rekrutierungspraxis: Der deutschbaltische Adlige oder ein Schwarzmeer- oder Wolgakolonist wurden gleichermaßen wie andere Vertreter aus den Reihen der russländischen Völker (ausgenommen zentralasiatische und sibirische Ureinwohner) zum Dienst an der Front einberufen.

Gruppe von Lehrern der deutschen Volksschulen des Kreises Nowousensk, Gouvernement Samara, die im November 1914 in die aktive Armee an die Front im Kaukasus geschickt wurden.

Das präsentierte Bild, eine Postkarte, zeigt eine Gruppe von Lehrern der deutschen Volksschulen des Kreises Nowousensk, Gouvernement Samara, die im November 1914 in die aktive Armee an die Front im Kaukasus geschickt wurden.

Die Namen der abgebildeten Lehrer in deutscher Sprache lauten:

1. Jakob Schäfer. 2. Heinrich Braun, 3. Alexander Wagner, 4. Balthasar Brungardt, 5. Alexander Hunger, 6. Andrej Lehmann, 7. Johann Braun, 8. Karl Kromm, 9. Valentin Dulson, 10. Felix Glock, 11. Anton Gerstner, 12.  ?  , 13. Johann Wagner, 14. Eduard Kromm, 15. Leo Chevalier, 16.  ?  , 17. Fedor (Theodor) Rothermel, 18. Karl Schetzel, 19. Johann Balzer, 20. Andrej Schleicher, 21. Johann Dahmer, 22. Johann Stuckart, 23. I.I. Müller, 24. I.K. Brug, 25. I.G. Braun, 26. August Schmunck, 27. Georg Hieronymus, 28. Fedor (Theodor) Schütz.

Solche Postkarten mit verschiedenen Motiven waren im ausgehenden Zarenreich sehr beliebt. Wie in diesem Fall wurden sie zum großangelegten Bekanntwerden bestimmter Kunstwerke, Landschaften, Ortschaften oder Persönlichkeiten gedruckt. Man kann annehmen, dass durch dieses Bild sowie viele weitere gezeigt werden sollte, dass auch russische Bürger deutscher Nationalität für ihr Vaterland „zu Felde ziehen“.

Durch unsere Recherchen konnten einige bislang unbekannte Lehrer (fett markiert), die Nummer 23 bis 26 auf der Postkarte, identifiziert werden. Die Dienstzeit dauerte bei den meisten Kriegsteilnehmern bis Mitte 1917, da seit dem Sturz des Zaren einige Monate zuvor die russische Armee sich zunehmend auflöste. Unter den abgebildeten Personen befanden sich einige künftige Aktivisten der wolgadeutschen Nationalbewegung wie Balthasar Brungardt, Bevollmächtigter des Marientaler Amtsbezirks, die auf dem ersten Kongress der Wolgakolonien in Saratow im April 1917 teilnahmen.

Ein anderer Lehrer, Alexander Hunger, ist sogar in die nationale Literaturgeschichte als Mitverfasser eines historischen Dramawerkes „Fest und treu oder der Kirgisen-Michel und die schon‘ Ammie aus Pfannenstiel. Historisches Festspiel zum hundertfünfzigjährigen Jubiläum der Ankunft der ersten deutschen Ansiedler an der unteren Wolga“, Saratow 1914 eingegangen (mehr dazu finden Sie HIER). Sein Leben spiegelte die tragische Situation vieler seiner Zeitgenossen wider: 1918 flüchtete er vor dem bolschewistischen Gewaltregime nach Deutschland, führte dort ein entbehrungsreiches Emigrantendasein und verstarb 1924 in Tübingen an Tuberkulöse.