Eine Tischmedaille: In Erinnerung an eine berühmte deutsche Kolchose in Kasachstan

Für die Septemberausgabe des „Dokument des Monats“ wurde diesmal nicht wie üblich ein Schriftstück, sondern ein aufschlussreicher Gegenstand aus unserer Sammlung gewählt. Es handelt sich um eine sogenannte „Tischmedaille“, die an den berühmten landwirtschaftlichen Betrieb in der einstigen UdSSR, der Kolchose „30 Jahre der Kasachischen Unionsrepublik“, Gebiet Pawlodar (Kasachstan) sowie an ihren legendären Leiter, dem „Held der sozialistischen Arbeit“, Jakob Häring (Gering) erinnert. Die meisten Beschäftigten waren Deutsche, sodass dieser Agrarbetrieb sowohl in der öffentlichen Wahrnehmung als auch im Selbstverständnis der Betroffenen als „deutsche Kolchose“ fungierte.

Vorderseite der Tischmedaille „30 Jahre der Kasachischen Unionsrepublik“

Es ist eine aus Metall gefertigte Medaille mit einem Durchmesser von ca. 75 Millimetern. Auf der Vorderseite steht in russischer Sprache geschrieben: „Mit Ehrenorden ausgezeichnete Kolchose namens „30 Jahre der Kasachischen Unionsrepublik“, Siedlung Konstantinowka, Landkreis Uspenski, Gebiet Pawlodar“. Auf der Rückseite steht: „Ruhm der Arbeit!“ Mit dieser Auszeichnung wurden verdiente Arbeiter der Kolchose geehrt.

Rückseite der Tischmedaille „30 Jahre der Kasachischen Unionsrepublik“

Ursprünglich war dieses Exponat Teil der Sammlung von Reinhold Zielke (1934–2019), dem sog. „Scheunenmuseum“ – einige Exponate davon werden z. Zt. im BKDR aufbewahrt.

Der landwirtschaftliche Betrieb bestand aus zwei Siedlungen: Konstantinowka und Rawnopol. Diese wurden im Zuge der agrarischen Übersiedlungen und Erschließung der asiatischen Randgebiete 1907 bzw. 1909 von den schwarzmeerdeutschen Bauern, v. a. den Mennoniten aus dem damaligen Gouvernement „Taurien“ in der heutigen Südukraine, gegründet.[1] Solche Siedlungen im asiatischen Teil der damaligen Sowjetunion blieben von der Massendeportation der 1940er Jahre verschont und haben ihren deutschen Bevölkerungsteil erst im Zuge der Ausreisebewegungen nach Deutschland seit Ende der 1980er Jahre stark eingebüßt oder sogar vollständig verloren. Noch zu Beginn des Jahres 1989 zählten die beiden Ortschaften zusammen 5.000 Einwohner mit einem deutschen Anteil in Höhe von 77%.

Die Kolchose „30 Jahre der Kasachischen Unionsrepublik“ (30 let Kasachskoj SSR) wurde 1951 gegründet. Ab 1959 stand der herausragende Wirtschaftsleiter Jakob Häring 25 Jahre lang – bis zu seinem frühzeitigen Tod 1984 – als Vorsitzender an der Spitze dieser Kollektivwirtschaft. Mit Hilfe von Bewässerungsanlagen und Rassezüchtung von Milchkühen legte er den Grundstein für den wirtschaftlichen Erfolg des Betriebes, der zu den profitabelsten in der ganzen Sowjetunion zählte. Guten Absatz fanden Erzeugnisse aus mehreren Tierfarmen und Gewächshäusern, aus der eigenen Ziegelei und der Mineralwasser- und Wurstfabrik. In der Zentralsiedlung Konstantinowka befanden sich neben einem modernen Krankenhaus ebenfalls eine wissenschaftliche Versuchsstation, eine Musikschule, ein landwirtschaftliches Technikum sowie ein in der Sowjetunion einmaliger Dorf-Zoo.

Weiterführende Informationen über die Kolchose, den Vorsitzenden und die dort beschäftigten Menschen erhalten Sie u. a. aus den nachfolgenden Publikationen (und Internetseiten):

https://30letkasachstana.de.tl: Eine vorwiegend russischsprachige Seite (teilweise auf Deutsch gehalten) mit vielen Informationen und Bildern über den Agrarbetrieb.

Igor Trutanow: Russlands Stiefkinder. Ein deutsches Dorf in Kasachstan. Berlin 1992. Einige Auszüge daraus finden Sie unter:

https://30letkasachstana.de.tl/Russlands-Stiefkinder-Teil1.htm

https://30letkasachstana.de.tl/JAKOB-GERING-aus-Buch-Russlands-Stiefkinder.htm

Jakov Gering (Jakob Häring): „Vsja moja žizn‘ dlja ljudej“ [All mein Leben den Menschen gewidmet]. Pawlodar 2007, 653 S. +52 S. Fotos: Quellen- und Erinnerungsband (in russischer Sprache gehalten).


[1] Siehe hierzu: V. Krieger: Deutsche Präsenz in Kasachstan zur Zarenzeit. München: Ost-Europa Institut 1993. 33 S. (Forschungsprojekt „Deutsche in der Sowjetunion und Aussiedler aus der UdSSR in der Bundesrepublik Deutschland“, Arbeitsbericht Nr. 8) [http://www.viktorkrieger.homepage.t-online.de/dkasachstan1993.pdf]