Reiseerlaubnis für eine/n Sondersiedler/in

(Dokument des Monats April)

Das Bayerische Kulturzentrum der Deutschen aus Russland bewahrt eine interessante Dokumentensammlung der Familie Lutz-Gerstenberger auf, die uns Arwed Lutz aus der Stadt Almaty in Kasachstan überreicht hat. Neben seltenen zeitgenössischen Fotos und Dokumenten, die demnächst im Dokumentationsarchiv des BKDR erfasst werden, befindet sich in der Sammlung ein Originalschein der Abteilung für Sondersiedlungen des Ministeriums für Innere Angelegenheiten MWD. Zehn Jahre nach dem Krieg lebten die Einwohner der Nachfolgestaaten des besiegten Dritten Reiches, der BRD und der DDR, längst in der bürgerlichen Normalität. Die DDR-Deutschen durften sogar zur Aufnahme eines Studiums und bereits zu Touristenzwecken in die UdSSR reisten. Dagegen befanden sich die unbeteiligten „Sowjetbürger deutscher Nationalität“ noch immer im Ausnahmezustand und standen als Personen minderen Rechts unter Kontrolle der Sonderkommandanturen des Innenministeriums. Ihnen wurde bis 1955 verboten, sich im eigenen Land zu bewegen. Sie waren an Orte der Pflichtansiedlung fest gebunden und durften diese nicht ohne behördliche Genehmigung verlassen (siehe unten die Originalgenehmigung auf Russisch und die deutsche Übersetzung).

(c) BKDR

Übersetzung (gelb markiert sind die handschriftlichen Eintragungen im Vordruck)

Hedwig Lutz, geb. Gerstenberger (1909‒1982), wurde im September 1941 aus der nordkaukasischen Stadt Krasnodar in das Gebiet Dschambul (Kasachstan) zwangsumgesiedelt. Obwohl sie eine Absolventin des Deutschen pädagogischen Technikums in Prischib/Ukraine war und zuletzt im medizinischen Institut als Hochschullehrerin arbeitete, musste sie sich nach der Verbannung in einem Dorf niederlassen und dort schwere körperliche Arbeit leisten (Straßenbau, Zuckerrübenpflücken u.ä.). Um ihre Verwandten in Alma-Ata, damals die Hauptstadt der Unionsrepublik Kasachstan, besuchen zu dürfen, brauchte sie eine Erlaubnis der Abteilung für Sondersiedlungen der Gebietsverwaltung des MWD. Da die Bearbeitungsfristen in der Regel sehr lange dauerten, wurde eine positive Entscheidung oft ohne genauere Zeitangaben ausgestellt. Die konkreten Reisefristen ließ man dann in der zuständigen Ortskommandantur eingetragen. Allem Anschein nach hat dieser Besuch nie stattgefunden, sodass die ungenutzte Erlaubnis in der Familiensammlung blieb.